Krieg und Frieden beim Kirchentag
Verteidigungsminister Scharping rechtfertigt den Nato-Einsatz
Von Peter Pragal
STUTTGART, 17. Juni. Rudolf Scharping hat in den vergangenen Wochen häufig erlebt, daß ihn die Opposition im Kosovo-Konflikt unterstützt. Aber was der Bundesverteidigungsminister jetzt von Friedbert Pflüger erfährt, geht doch über den Rahmen eines korrekten Umgangs zwischen politischen Gegnern hinaus. "Ich möchte Herrn Scharping für das, was er geleistet hat, ganz herzlich danken", sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete. "Das hat er für uns alle getan." Durch die Messehalle auf dem Stuttgarter Killesberg gellen Pfiffe. Zuhörer machen mit Buhrufen ihrer Empörung Luft. Aber noch lauter ist der Beifall. Die meisten Zuhörer begegnen den Politikern auf dem Podium mit Respekt und Verständnis.
"Frieden für Europa", heißt das Thema der Diskussionsrunde. Sie ist einer der Höhepunkte des Evangelischen Kirchentages. Mehr als 7 000 Menschen hat die Veranstaltung angezogen. "Dauerhafer Frieden läßt sich nicht militärisch erzwingen", mahnt ein Transparent. Ein anderes beglückwünscht den Minister zu seinem "Bombenerfolg: Albaner vertrieben – Jugoslawien zerstört – Tausende getötet."
Moralischer Impetus
"Der Krieg im Kosovo ist beendet", sagt Scharping. Das bedeute noch nicht Frieden. Aber das Ende der Gewalt könne ein erster Schritt dazu sein. Der SPD-Minister sagt nichts, was er nicht so oder ähnlich schon im Bundestag vorgetragen hätte. Aber bei den versammelten Christen kommt sein moralischer Impetus gut an. Solle nur niemand glauben, er habe sich zur militärischen Gewalt leichten Herzens entschlossen. Das könne nur jemand tun, "der ein völlig versteinertes Herz hat". Aber wahr sei auch, daß der Diktator in Belgrad nicht anders hätte gestoppt werden können. Und daß die westliche Allianz viel zu lange zugesehen habe.
Pflüger pflichtet bei: "Man kann seine Hände nicht in Unschuld waschen, wenn nebenan Menschen umgebracht werden." Was ist nebenan? Wieso setzt die Nato nicht auch in Ruanda oder in Kurdistan Waffen ein, um das Menschenrecht auf Leben durchzusetzen? Konrad Raiser, Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, stellt die Frage auf dem Podium. Scharping bleibt die Antwort nicht schuldig: "Wir sollten uns über die begrenzte Reichweite unserer Mittel klar sein. Auch dieses Dilemma sollten wir offen aussprechen."
Das Publikum wird in die Debatte einbezogen. Bündelweise sammeln Helfer die schriftlichen Fragen ein. Wie es die Politiker mit dem Tyrannenmord hielten, will jemand wissen. Dazu fehlten nicht nur die technischen Mittel, antwortet Scharping. Er lehne eine gezielte Tötung des Serben-Präsidenten auch aus politischen und moralischen Gründen ab. Im übrigen wäre es besser, "wenn die Serben ihren Diktator selbst ablösten".
Pflüger, sonst an diesem Nachmittag zumeist mit Scharping einig, widerspricht. Wenn man sich zum Bombardement entschlossen habe, hätte man auch den Tyrannenmord anwenden können.
Konrad Raiser geht auf Distanz zu den Politikern, ohne den Pazifisten nach dem Munde zu reden. Die humanitäre Intervention im Sinne des Völkerrechts sei nicht eindeutig geklärt. Auch müsse die Tragweite der Bombardierungen und die Verhältnismäßigkeit der Mittel in Betracht gezogen werden. In keinem Fall dürfe ein Militäreinsatz "zur Strafaktion gegen ein Land werden".
Und dann sagt er noch einen Satz, der vielen Christen mit ihrer Sehnsucht
nach Konfliktlösung ohne Gewalt aus dem Herzen gesprochen ist: "Der
weitgehend friedliche Umbruch 1989/90 hat Hoffnungen geweckt. Diese dürfen
nicht verspielt werden."