Zeitung statt Kopftuch
Droht der linken türkischsprachigen Tageszeitung Evrensel ein
Verbot in Deutschland?
Von Till Meyer
»Sollen wir jetzt Kopftuch essen?« So titelte am 12. Mai die linke, türkischsprachige Tageszeitung Evrensel, zu deutsch »Universal«, die in Neu-Isenburg in der Nähe von Frankfurt am Main ihre Europa-Redaktion hat. »In der Türkei reden alle über das Kopftuch einer Abgeordneten und nicht über die Lebenshaltungskosten. Die sind aber in den letzten zehn Jahren um das 670fache gestiegen«, erklärt der Chefredakteur der beiden Europaseiten, Serdar Derventil. Aufmacher der »Avrupa«-Seiten ist an diesem Tag der Bielefelder Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen, daneben gibt es Berichte aus Düsseldorf, Frankfurt am Main oder Bordeaux. Das zwölf Seiten starke Blatt mit dem roten Schriftzug Evrensel im Kopf erscheint im Format der Berliner Zeitung, hat ein übersichtliches Layout, einen sauberen Druck, viele Fotos, Nachrichtenblöcke, Hintergrundberichte und täglich einen Veranstaltungskalender. Darin wird nicht nur auf türkische Veranstaltungen hingewiesen, sondern auch deutsche, vor allem Gewerkschaftsveranstaltungen. Wie die meisten linken Zeitungen hat auch Evrensel kaum Anzeigen. »Wir sind eine türkischsprachige und keine türkische Zeitung«, stellt der Chefredakteur klar. Die Redaktion versteht sich als gewerkschaftsnah und links. »Man könnte sagen, wir stehen der türkischen Partei der Arbeit (EMEK) nahe, und wir sind hier alle Gewerkschaftsfreaks.«
Alle, das sind neben Serdar noch fünf weitere Redakteure, darunter eine Kollegin, die im Industrieviertel der Frankfurter Vorstadt nicht nur die täglichen zwei Europaseiten produzieren, sondern auch Artikel an die Zentrale nach Istanbul liefern. Die anderen zehn Seiten kommen des Nachts über die Datenleitung direkt aus der Türkei. Alle sprechen übrigens perfekt deutsch und verstehen sich als Kollektiv, verbunden mit der üblichen »Selbstausbeutung«, wie Serdar hinzufügt. Gern greift man auf deutsche Kommentatoren zurück, vor allem aus den Gewerkschaften und dem Antifa-Spektrum, weil, so Serdar, »das natürlich hier auch die Türken etwas angeht«. Zielgruppe seien eigentlich alle ihre Landsleute, »aber Schwerpunkt ist schon die sogenannte zweite und dritte Generation der Arbeitsemigranten«. Man überlegt auch, ab dem Herbst eine Seite in deutscher Sprache herauszubringen, »denn die meisten der jüngeren Landsleute sprechen deutsch«.
Ganz in der Nähe der kleinen linken Redaktion haben aber auch die konservativen und rechten Flaggschiffe der in Deutschland erscheinenden türkischen Blätter Hürriyet, Sabah und Milliyet ihre Europa-Redaktionen. »Zu denen haben wir keinen Kontakt, aber dafür mit der kurdischen Özgür Politika, die ebenfalls in Neu- Isenburg produziert wird.« Mit den Auflagen der rechten Blätter kann Evrensel nicht mithalten. »Wir haben in der Türkei 20 000 Auflage und in Deutschland noch mal 10 000 und 3 000 in anderen Staaten Europas.« Alle vierzehn Tage erscheint eine achtseitige Europabeilage. Da gibt es dann auch schon mal einen Hintergrundbericht von Jutta Ditfurth oder anläßlich des Krieges gegen Jugoslawien einen historischen Rückblick auf die deutschen Sozialdemokraten und ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914. Nach Absprache übernimmt Evrensel auch ab und an Artikel aus der jungen Welt oder anderen linken Zeitungen, die ins Türkische übersetzt werden. Eigene Büros hat Evrensel in fast allen Hauptstädten Westeuropas, und bei Bedarf kann die Redaktion auf etwa 100 freie Mitarbeiter in ganz Europa zurückgreifen.
Ein ums andere Mal war die Zeitung Ziel der türkischen Polizei: »Wir sind zweimal zugemacht worden und haben zur Zeit 20 Verfahren anhängig«, sagt der Chefredakteur. Immer wieder würden hohe Geldstrafen gegen Evrensel verhängt, zumeist wegen des Vorwurfs, »das Volk zum Haß aufzustacheln«. »Das soll uns ökonomisch fertigmachen.« Schon wenn die Worte Kurde oder Kurdistan in einem Artikel benutzt werden, kann dies als »zum Haß aufstacheln« bewertet werden. »Dann«, so Serdar, »bekommen wir sofort eine hohe Geldstrafe oder die Polizei macht uns einfach dicht.«
Zwei der sechs Redakteure sind als politische Flüchtlinge anerkannt,
die anderen haben normale Aufenthaltsgenehmigungen. »Der Kollege
Ufuk konnte vor kurzem noch in letzter Minute aus der Türkei entkommen,
die Polizei hat ihn bereits gesucht.« Grund: Ufuk hatte für
Evrensel einen Bericht der Illustrierten Stern übersetzt, der sich
mit Waffenschmuggel und der Rolle des türkischen Geheimdienstes dabei
befaßte. Obwohl man nicht unbedingt PKK-freundlich ist, unterstützt
Evrensel das Recht der Kurden auf Selbstbestimmung und beteiligt sich auch
an der Produktion einer kurdischen Zeitung namens Ruf an die Arbeitenden,
die einmal in der Woche in Kurdistan umsonst verteilt wird. Mit den deutschen
Behörden habe man keine Schwierigkeiten, noch nicht. Auf dem letzten
NATO-Gipfel in Washington habe der türkische Ministerpräsident
Demirel allerdings Bundeskanzler Schröder eine Liste mit türkischen
Zeitungen in Deutschland übergeben, die, so Demirel, »auch gegen
deutsche Gesetze verstoßen und verboten gehören«. Schröder
hat »juristische Überprüfung zugesagt«. Mit auf der
Verbotsliste des türkischen Präsidenten: Evrensel.