Dem Staat entfremdet
Wer sich für die inoffizielle Meinung zum Fall Öcalan interessiert,
kann sie in diesen Tagen auf dem Markt der kurdischen Stadt Diyarbakir
leicht erfahren. Ohne angesprochen zu sein, mischt sich ein Mann, der mit
einem leeren Handkarren auf Arbeit wartet, in ein Gespräch: «Wir
sind Kurden, wir sind alle für Apo!» Auf die Frage, was denn
der Unterschied zwischen Kurden und Türken sei, weiss er aber spontan
keine Antwort. Hasan Dagtekin, Kreisvorsitzender der kleinen, prokurdischen
Partei für Frieden und Demokratie (DBP), kennt den Unterschied: «Er
besteht darin, dass die Kurden nicht die gleichen kulturellen Rechte haben
wie die Türken. Das Verbot der kurdischen Sprache gab es zum Beispiel
schon, als die PKK noch nicht einmal existierte.» Dagtekin fordert
den Wiederaufbau von tausenden zerstörter kurdischer Dörfer.
Dies senkte die Arbeitslosigkeit eher, als die von Premier Ecevit versprochenen
wirtschaftlichen Hilfen, erklärt er. Ramazan Terrki, Vize-Bürgermeister
Diyarbakirs, sagt resigniert: «Das wievielte Hilfspaket für
den Südosten ist das eigentlich? Diese Pakete waren alle leer. Auch
Ecevit hat seine Wähler nicht hier.» In Südostanatolien
haben die Wahlberechtigten in den April-Wahlen mehrheitlich die Demokratiepartei
des Volkes (Hadep) gewählt, obwohl die Hadep wegen angeblicher Verbindungen
zur PKK verboten werden soll. Der Anwalt Sezgin Tanrikulu sagt: «Auch
wenn Öcalan nicht hingerichtet wird, das Urteil gegen den PKK-Chef
wird die Menschen hier dem türkischen Staat weiter entfremden.»Jan
Keetman