Niederlage für den deutschen Kanzler Gerhard Schröder am
EU-Gipfel in Köln:
Um die demokratischen Kräfte dort zu stärken, hätte
er die Türkei gerne als EU-Beitrittskandidaten anerkannt.
Köln. Als «sehr substanziell und weiterführend» bezeichnete der deutsche Kanzler Gerhard Schröder am Freitag die Gespräche auf dem zweitägigen EU-Gipfel, der gestern in Köln zu Ende ging. Schröder, als Vertreter der EU-Präsidentschaft Gastgeber des Kölner Gipfels, musste allerdings einen persönlichen Misserfolg eingestehen. Er hatte vorgeschlagen, der Türkei den Status eines EU-Beitrittskandidaten anzubieten. Eigentliche Beitrittsverhandlungen sollten dann zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden, wenn die Türkei die EU-Standards bei Menschenrechten und der Behandlung von Minderheiten einhält.
Schröder konnte sich unter den EU-Staats- und -Regierungschefs aber nicht durchsetzen mit seinem Vorstoss, von dem er sich «eine Stärkung der demokratischen Kräfte in der Türkei» versprochen hatte. Die Initiative war wohl auch ersonnen, um günstigen Einfluss auf den aktuellen Prozess gegen PKK-Führer Abdullah Öcalan auszuüben. In diesem Zusammenhang forderte Schröder die Türkei einmal mehr zur Einhaltung der rechtsstaatlichen Prinzipien auf und betonte seine Ablehnung der Todesstrafe.
Eine Telefonnummer für Europa
Die bereits am Donnerstag beschlossene künftige Integration der Westeuropäischen Verteidigungsunion (WEU) in die EU lobte Schröder am Freitag als die «Vergemeinschaftung eines wichtigen Politikbereichs». Zum künftigen Vertreter der EU-Aussenpolitik war in der Nacht zum Freitag der Spanier Javier Solana bestimmt worden (Schröder: «eine Idealbesetzung»). Er ist der erste Hohe Repräsentant für die Gemeinsame Sicherheits- und Aussenpolitik («Mr. Gasp»). «Herr Gasp» soll der verzettelten europäischen Aussenpolitik (Henry Kissinger: «Wenn ich Europa anrufen will, habe ich keine Telefonnummer») Gesicht und Stimme verleihen. Der neue Posten ist erst mit dem im Mai in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam entstanden. Zum neuen Generalsekretär des EU-Ministerrates und Solanas Vize wurde nach einem längeren Seilziehen der französische Kandidat, Pierre de Boissieu, ernannt. Ein Brite und ein Däne unterlagen. Wann Solana sein Amt antritt, muss noch durch die EU-Aussenminister ausgehandelt werden. Als Generalsekretär des Nato-Militärbündnisses amtiert er noch bis Ende Jahr. Neben Solana, dem Geschöpf der EU-Regierungen, wird die Europäische Kommission die rechtliche Aussenvertretung der Union weiter besorgen. Sie wird derzeit vom gewählten Kommissionspräsidenten Romano Prodi «im Einvernehmen» mit den Mitgliedstaaten zusammengestellt. In Köln hat Prodi vorgetragen, wie er sich dies vorstellt: Er will zuerst die Portefeuilles der 19 Kommissionssitze umreissen und erst dann die geeigneten Personen suchen. Er will dabei auf einen höheren Frauenanteil achten. Er will einen Vizepräsidenten, der einer besonderen «Reformgruppe» vorstehen und den Umbau der diskreditierten EU-Verwaltung leiten soll. Und er will jedem Mitglied seines Teams abverlangen, «dass es zurücktritt, wenn ich es dazu ersuchen müsste». Mit dieser Entlassungsklausel will Prodi dem Europäischen Parlament zuvorkommen, welches das Recht verlangt, einzelne Kommissare und Kommissarinnen aus dem Amt zu entfernen.
Euro «ist stabil»
Gesprächsstoff lieferte am Kölner Gipfel die gegenwärtige Schwäche der Euro-Währung. «Sie ist stabil», hielt Schröder fast trotzig fest. Die Staats- und Regierungschefs waren offenkundig bemüht, dieses Thema möglichst tief zu hängen.
Auf ihrem Gipfel beschlossen die Staats- und Regierungschefs ferner regelmässige Konsultationen zwischen den Regierungen, der Europäischen Zentralbank, der EU-Kommission und den Sozialpartnern («Europäischer Beschäftigungspakt»). Überdies wurde vereinbart, bis Ende 2000 institutionelle Reformen abzuschliessen, mit denen die Voraussetzung für die Aufnahme mitteleuropäischer Staaten in die EU geschaffen wird. Beschlossen wurde auch die Ausarbeitung einer Grundrechtscharta.
Johann Aeschlimann, Benedikt Vogel