Niemand schützt den Polizeichef
Von Judka Strittmatter
Hier sind sie nett zu ihm, und er kann noch spüren, daß er Chef ist. Kein Argwohn, keine Mißgunst, dafür jede Menge Haltung: "Guten Tag, Herr Polizeipräsident, guten Tag, Herr Saberschinsky." Es ist Tag der offenen Tür bei der Polizei, Abschnitt 54, Sonnenallee, Krisengebiet Neukölln. Er ist an der Basis und in Sicherheit. Ungefragt erzählt er, daß er schon joggen war, im Grunewald natürlich, wie jeden Tag. Das ist nichts Neues, aber sichert Sympathie. Er – ein hölzerner Beamter? Pah! Er – ein farbloser und langweiliger Verwaltungssoldat? Na bitte, wenn das alle glauben. Er kann auch anders, sieht man doch: Auf seinem Rundgang über das Polizeifest plaudert er forsch mit den Beamten ("Was machen die arabischen Freunde?"). Spricht eine türkische Praktikantin an, die zu seiner Truppe und mit ihm aufs Foto will ("Na, möchtest du immer noch zu den bösen Bullen?"), pfeffert hemdsärmlig ein paar Tennisbälle in eine Pyramide aus Büchsen und prostet den Vertretern der Türkischen Gemeinde zu. "Zusammen sind wir stark!" hat einer von ihnen ihm zugerufen. Er hätte es nicht besser sagen können.
Vorbei eine Woche, in der sich mal wieder alle auf ihn eingeschossen haben und sein Name in immer kürzeren Abständen in den Lokalteilen der Stadt auftauchte. Vorbei auch dieser Tag, an dem er allein, mit einer Akte unterm Arm, die Treppe des Preußischen Landtages hinaufstieg, um auszusagen im Untersuchungsausschuß. Umsonst. Die CDU hatte das Verfahren bemäkelt, der Ausschuß wurde vertagt. Wo die Polizei war am 17. Februar, als Kurden versuchten, das Israelische Generalkonsulat zu stürmen – dazu wurde er nicht gehört. Vier Kurden waren tot, erschossen von den Israelis, und alles sah nach einer üblen Panne aus.
Wie immer waren sie schon in Stellung, als er das Abgeordnetenhaus betrat, hatten sie ihn schon im Visier. Die Journalisten, die Kameramänner – die Nervensägen. Wie immer forderten sie Antworten, beharrten sie auf Erklärungen, wollten sie in seine Seele sehen. Hat die Polizei einen Fehler gemacht, Herr Saberschinsky? Haben Sie die Gefahr unterschätzt? Werden Sie zurücktreten? Wie immer gab er ihnen wenig: "Ich erfreue mich guter Sinne und frohen Mutes." Ach ja, und Polizeipräsident wolle er bleiben – "aber immer"!
Die Lage ist mal wieder verzwickt für Berlins Polizeipräsidenten, nachdem in der Presse der Mitschnitt eines Telefonats erschien, das er und Innenstaatssekretär Kuno Böse von der CDU einen Tag vor dem Desaster im israelischen Konsulat führten. Böse hatte am Hörer zu Saberschinsky gesagt, daß nach der Festnahme des Kurdenführers Öcalan auch die Israelis in der Stadt in Gefahr seien; er wollte der Polizei den Bundesgrenzschutz zur Hilfe schicken. "Ja, ja, ja, ist gut, okay, wir schützen die ganze Welt", hatte ihm der Polizeichef geantwortet und den BGS abgelehnt. Jetzt wird er der Flapsigkeit bezichtigt.
Immer noch blühen die Gerüchte, wer dieses Telefonat abgetippt und in die Akten des Untersuchungsausschusses geschoben haben kann – dieser hatte die Gesprächsnotiz nie angefordert. Von "Maulwurf" reden die einen, von "Intrige" die anderen, der Polizeipräsident selbst spricht von "empörender Kampagne". Seine Gegner, sonst meistens gleich auf der Palme, wenn es um ihn und seine Truppe geht, sind sich uneins. "Saberschinskys Tage sind gezählt", sagt Renate Künast, Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen, ihr Kollege Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher der Partei und Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, klingt dagegen sanft: "Man muß den Mann doch erst mal hören."
Ein Fall mit vielen Fragen: Schiebt der Innensenator seinen Polizeichef vor, um eigene Fehler zu vertuschen? Wird da an heimlichen Fronten schon unheimlich Wahlkampf gemacht? Oder ist jetzt ein Polizeipräsident fällig, der vielen schon lange nicht mehr paßt? Zu groß die Liste seiner Pleiten, zu klein die Meldungen über seine Erfolge. Viel Soll und wenig Haben bei der Berliner Polizei und ein Ruf, der zweifelhaft ist, auch über die Grenzen der Stadt hinaus.
"So ist es immer in Berlin", sagt Saberschinsky, "das Gute wird in dieser Stadt unter den Tisch gekehrt." Aber diese Polizei, sagt er, sei eine der besten in Europa. Er hat sich umgeschaut, weiß Gott. Nicht mal Rom, Madrid oder Paris hätten Vergleichbares zu bieten. Nirgendwo soviel Sicherheit wie auf den Straßen der deutschen Hauptstadt. Und deshalb auch seine stramme Linie, was diesen Tag im Februar angeht, und keine Zweifel, keine Selbstkritik: "Die Polizei hat richtig gehandelt", beharrt er, daran werde auch der Untersuchungsausschuß nichts ändern. Lächerlich kommt es ihm vor, wie sich diese Stadt gebärdet: Seine Hundertschaften waren verteilt, Anzeichen für einen Sturm der Kurden gab es keine. Widerrede zwecklos.
Ein eisiger Wind zieht dieser Tage durch die Innenbehörde, und wen man zu Hagen Saberschinsky befragt, der hält nicht lange an sich: "Soll das ein Nachruf werden", fragen Politiker und Polizei-Gewerkschafter. Eigentlich, so meinen manche, sei es nicht richtig, ihm aus dem Wir-schützen-die-ganze-Welt-Zitat einen Strick zu drehen. Eberhard Schönberg, Chef der Polizeigewerkschaft, sieht zwar "aktuell keinen Rücktrittsgrund", klärt aber Mißverständnisse auf: Nicht mal die CDU, der sich Saberschinsky politisch nahe fühlt und von der er glaubt, daß sie sich für ihn stark macht, stehe hinter ihm. Und zu dem Telefonmitschnitt und dessen Auftauchen in den Akten des Untersuchungsausschusses nur so viel: "Das ist der Berliner Filz, wie er leibt und lebt."
Mehr Anteilnahme ist nicht: Zu unbeholfen Saberschinskys Umgang mit der Öffentlichkeit, zu nervig sein ständiges Beleidigtsein. "Der ist kein böser Mensch, auch nicht dumm, noch nicht mal reaktionär – aber er ist nicht das, was wir hier in Berlin bräuchten." Von Herzen gern sei Saberschinsky Polizist, "aber er kann es nicht sein, weil er Polizeipräsident ist". Eine moderne Großstadtpolizei zu etablieren, dazu gehöre mehr "als Akten zu wälzen und Vorgänge zu studieren". So einer aber sei der Mann an der Spitze. Akribisch im Bürokratischen, unfähig im Managen und Führen. "Einen Verein wie unseren", sagt Schönberg, "führt man nicht auf Befehl und Gehorsam." Wie haben viele innerlich applaudiert, als Landesschutzpolizeidirektor Gernot Piestert neulich, auf einer Tagung der Gewerkschaft, Tacheles redete. "Erschreckend ungebildet" seien viele Beamte, könnten nur in "Comic- und Sprechblasensprache" kommunizieren. Und gerade in den höheren Chargen, meckerte Piestert, sei es üblich, Fehler und Mißerfolge abzustreiten. Gäbe es weniger Befehlsgehorsam, sagt Schönberg, dann wüßte Saberschinsky auch, daß seine Leute zum Beispiel das Berliner Modell, bei dem Schutzpolizisten kleine Kriminaldelikte ermitteln sollen, lange nicht so toll finden, wie er glaubt.
Nach sieben Jahren Saberschinsky wünscht sich Schönberg einen anderen Polizeipräsidenten. "Aber den werde ich nicht kriegen." Allerdings habe der dieses Hickhack um seine Amtsverlängerung auch nicht verdient.
Ein Jahr länger will ihn die große Koalition behalten – der Wahlkampf muß überbrückt werden –, aber in Papier und Tüten ist noch nichts. In zwei Monaten wird Saberschinsky 60, und ob er dann in Pension geht oder als Polizeichef weitermacht – offiziell weiß er noch nichts. Er selbst würde noch bleiben, dann aber fünf Jahre, auch aus Geldgründen, wie immer mal wieder aus dem Abgeordnetenhaus kolportiert wird. Teure Miete, Alimente. "Aber das", sagt Schönberg, "ist typisch Berliner Schwatzbude."
So oder so, Hagen Saberschinsky wird damit leben müssen: Vielleicht bescheinigen ihm, dem Ex-BKA-Mann, viele Politiker gerade noch "solides Handwerk", eine hauptstadtwürdige Polizei zu organisieren, das trauen sie ihm nicht zu. Wie in "Dallas" würde es in der Hauptstadt zugehen, hat der SPD-Fraktionschef Klaus Böger neulich noch geschimpft – und die Fernsehserie damit gemeint.
Was ihn bewegt, das schluckt er lieber. Fachbeamter sei er, sagt Saberschinsky, "beseelt von meiner Aufgabe". Und kein Politiker, der für Wählerstimmen zu sorgen hat. Viel zu oft würden nur Kulissen geschoben "und zu wenige Sachdinge geklärt". Und erst in schwierigen Zeiten, so habe er neulich beim Abschied des Chefs der Direktion 7 in einer Rede festgestellt, würde sich zeigen, welche Persönlichkeit einer habe. Von ihm kein böses Wort in der Affäre Tonbandmitschnitt, auch keines über "Doktor Werthebach" und den Staatssekretär Böse. Da bleibt er ganz bei sich – gnadenlos loyal, der Hierarchie ergeben. Auch wenn es weh tun muß, nach sieben Jahren Kärrnerarbeit in Berlin vom gegenwärtigen Innensenator als "tragbar" bezeichnet zu werden.
Trotzdem wird er sich hüten, der Presse Futter hinzuwerfen. "Ich bin nicht da, um euch zu befriedigen." Ein Bröckchen gibt er schließlich doch: Freuen würde er sich auf den Moment, wenn er im Untersuchungsausschuß aussagen kann – und aussagen will er unbedingt. Dann wird er das Telefonat mit Böse erklären, die Flapsigkeit und alles, was noch offen ist. Er wird sie wieder hochsteigen, die Treppen des Preußischen Landtages und dann, das darf ihm jeder glauben, wird er vor den Damen und Herren Abgeordneten eine deutliche Sprache sprechen. "Eine sehr deutliche."