Berliner Sicherheitsbehörden in der Krise
Deutschlands größter Polizeiapparat gibt ein desolates Bild
ab Machtvakuum an der Spitze
Von Andreas Baumann und Stephan Haselberger
Berlin Der Referent ging gnadenlos mit der Hauptstadtpolizei ins Gericht. Zahlreiche Beamte seien „erschreckend wenig gebildet", vielen mangle es an „persönlicher und sozialer Kompetenz". Verwunderlich sei dies nicht, denn ein Großteil stamme aus Verhältnissen, „in denen Gewalt an der Tagesordnung ist".
Der Mann, der auf einem Treffen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit den Berliner Ordnungshütern abrechnete, war kein Oppositionspolitiker aus den Reihen von Grünen oder PDS, sondern Landesschutzpolizeidirektor Gernot Piestert, Berlins zweithöchster Polizist.
Piesterts radikaler Bruch mit dem Korpsgeist der Polizei markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Kette von Ereignissen, die seit Wochen auf eine schwere Krise der Berliner Sicherheitsbehörden hindeuten. SPD-Fraktionschef Klaus Böger wirft bereits die Frage auf, ob Innensenator Eckart Werthebach sein Amt noch im Griff hat.
Tatsächlich gibt Deutschlands größter Polizeiapparat, aber auch das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) wenige Monate vor dem Regierungsumzug ein desolates Bild ab:
* Da streiten Polizeiführer nach den Kreuzberger Maikrawallen derart heftig über die Bewertung des Deeskalationskonzepts, daß sie nur mit Mühe von einer Prügelei abgehalten werden können. Die Runde ist in Rage geraten, nachdem der Kreuzberger Direktionsleiter Klaus Karau einen taktischen Fehler der Polizei für die Ausschreitungen verantwortlich gemacht hat.
* Da schockt der Personalratsvorsitzende des Landeskriminalamtes (LKA) seine Vorgesetzten mit der öffentlichen Forderung, zwei leitende Kripobeamte abzulösen, weil sie Beweise gegen unter Korruptionsverdacht geratene Kollegen „konstruiert" hätten. Die Affäre führt auch zu einem Zerwürfnis zwischen Piestert und LKA-Chef Hans-Ulrich Voß: Piestert untersagt Voß in einer lautstarken Begegnung, mit den eigenen Ermittlern über den Fall zu sprechen.
* Da muß die Staatsanwaltschaft wegen einer gefälschten Pressemitteilung unter dem Briefkopf des Verfassungsschutzes ermitteln. In dem Papier, offenkundig im Amt selbst verfaßt, werden ranghohen Geheimdienstlern schwere handwerkliche Fehler vorgeworfen. Für derartige Intrigen ist der Berliner Dienst berüchtigt. Selbst die Senatsinnenverwaltung analysierte im November 1998, „alte persönliche Feindschaften" und „fachbruderschaftsähnliche Freundschaften" würden seine Arbeit behindern. Das Amt war auch nicht in der Lage, rechtzeitig vor dem Sturm von PKK-Aktivisten auf das ungenügend geschützte israelische Generalkonsulat zu warnen, bei dem am 17. Februar vier Kurden erschossen wurden.
* Da legt die Senatsinnenverwaltung dem Untersuchungsausschuß, der sich mit dem Einsatz der Polizei vor dem Konsulat befaßt, das Protokoll eines heiklen Telefonats vom 16. Februar vor. Darin weist Innenstaatssekretär Kuno Böse den Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky auf die Gefährdung israelischer Einrichtungen hin. Saberschinsky, der die allgemeinen Warnungen längst kennt, reagiert genervt: „Ja, ja, ja. Wir schützen die ganze Welt." Düpiert von Mitschnitt und Preisgabe des Gesprächs, droht die Polizeiführung der Innenbehörde, ihrer eigenen Fachaufsicht, mit einer Anzeige.
Die Unruhe an der Spitze der Polizei führen Berliner Innenpolitiker vor allem auf das Machtvakuum im Präsidium zurück. Polizeichef Saberschinsky bemüht sich zwar um eine Verlängerung seiner Amtszeit, die im Oktober ausläuft. Daß die Große Koalition seinem Wunsch nachkommt, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Außerdem ist seit fast einem Jahr das Amt des stellvertretenden Polizeipräsidenten unbesetzt. „Da finden Konkurrenzkämpfe um vakante Posten statt", sagt die SPD-Abgeordnete Heidemarie Fischer. Der Vorsitzende des Innenausschusses, Rüdiger Jakesch (CDU), kann zwar keine Führungskrise erkennen, spricht aber von „Durchstechereien in der Polizeispitze".
Dennoch läßt sich Innensenator Werthebach mit der Suche nach einem Nachfolger für Saberschinsky Zeit. Glaubt man dem Polizeiexperten Helmut Hildebrandt (SPD), dann ist die Auswahl in den Reihen der Berliner Polizei ohnehin nicht sonderlich groß. „Dort sitzen gute Handwerker, aber kaum echte Führungspersönlichkeiten. Das liegt auch daran, daß in Berlin Spitzenpositionen jahrzehntelang nach Parteienproporz besetzt wurden", klagt Hildebrandt, der Polizisten des gehobenen Dienstes in Führungslehre unterrichtet.
Das Führungsproblem wird derzeit noch durch Kompetenzgerangel sowie persönliche Animositäten und Empfindlichkeiten verschärft, die bis in die Spitze der Innenverwaltung hineinreichen. Leitende Beamte aus Saberschinskys Morgenrunde sind verärgert, weil sich Innenstaatssekretär Böse zu stark in das Tagesgeschäft der Polizei einmische. Seit dem Debakel am Generalkonsulat informiere er sich am Führungsstab vorbei schon mal direkt in den örtlichen Polizeidirektionen über Einsätze, etwa bei einer Demonstration gegen den Nato-Einsatz im Kosovo. „Angst essen Seele auf", spottet ein Spitzenbeamter. Nicht verstehen kann man bei der Polizei auch die Anordnung der Innenverwaltung, bei der anstehenden Europawahl vor jedem Wahllokal einen Beamten zu postieren, obwohl die Lage ungefährlich sei.
Staatssekretär Böse wiederum hat Schwierigkeiten mit dem autoritären Führungsstil seines Senators, verlautet aus mehreren Quellen. Der ebenso penible wie anspruchsvolle Verwaltungsprofi Werthebach, bis 1998 selbst Staatssekretär im Bonner Innenministerium, soll den Parteifreund jüngst mit den Worten „jetzt sind Sie aber still" abgekanzelt haben.
Bei Böse sitzt der Frust inzwischen so tief, daß er gegenüber
einem Vertrauten bereits in Erwägung gezogen hat, sich von seinem
Amt entbinden zu lassen.