Öcalan-Prozeß auf kommende Woche vertagt
von: pon/eju
Mudanya - Nach turbulenten Szenen im Gerichtssaal ist am Freitag der Hochverratsprozeß gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan auf kommende Woche vertagt worden. Zur Begründung sagte der Vorsitzende Richter Turgut Okyay, die Staatsanwaltschaft solle Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Schlußplädoyers bekommen. Zuvor war ein Anwalt der Nebenkläger nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Anatolien des Saales verwiesen worden, nachdem er sich in ein Wortgefecht mit der Verteidigung verwickelt hatte. Aus Protest verließen daraufhin auch andere Anwälte den Gerichtssal. Öcalan steht seit Montag vor Gericht. Der Prozeß soll am Dienstag fortgesetzt werden.
Anwälte, die die Hinterbliebenden von PKK-Opfern vertreten, beschuldigten die Verteidiger Öcalans, separatistische Propaganda zu betreiben. Ein ehemaliger Soldat warf aus Protest seine Beinprothese in die Luft. Andere Hinterbliebende beschimpften Öcalan und dessen Anwälte. Anatolien zitierte einen der Angehörigen mit den Worten: "Du hast niemals Schmerz gefühlt. Ich habe einen Sohn verloren."
Zuvor war der Chef der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) von der Staatsanwaltschaft ins Kreuzverhör genommen worden und über die Beziehungen der PKK zu türkischen Menschenrechtsgruppen befragt worden. Öcalan hatte solche Kontakte stets bestritten.
Das Gericht, das aus zwei zivilen und einem Militärrichter besteht, wies einen Antrag der Verteidigung ab, Verwandte der rund 20.000 PKK-Kämpfer in den Zeugenstand zu rufen, die bei dem seit etwa 15 Jahren andauernden Kampf der PKK für Selbstbestimmung im Südosten des Landes von der türkischen Armee getötet worden waren. Die Anwälte Öcalans hatten zudem die Befragung prominenter Politiker gefordert, darunter der früheren Ministerpräsidenten Tansu Ciller und Necmettin Erbakan.
Öcalan hatte zum Prozeßauftakt den Tod türkischer Soldaten im Unabhängigkeitskampf der Kurden bedauert. Zugleich hatte er angeboten, die PKK zur Niederlegung der Waffen zu bewegen, wenn ihm die Todesstrafe erspart bliebe. Die PPK teilte dazu in einer von der kurdischen Nachrichtenagentur DEM verbreiteten Erklärung mit, sie sei bereit, die Waffen niederzulegen, wenn sich die türkische Regierung verhandlungsbereit zeige. Dazu bedürfe es aber Verhandlungen und Abkommen, Worte allein reichten nicht aus.
Öcalan wird der Tod von rund 29.000 Menschen im Unabhängigkeitskampf der Kurden vorgeworfen. Bei einem Schuldspruch droht ihm die Todesstrafe. Seit 1984 wurde diese allerdings in der Türkei nicht mehr vollstreckt.
Unterdessen wurden vor dem US-Konsulat in Istanbul zwei Mitglieder einer linksradikalen Gruppe von der Polizei erschossen, weil sie einen Anschlag auf das Konsulat geplant haben sollen. Die Polizei teilte mit, die beiden hätten mit großen Sporttaschen das Gebäude gegenüber dem Konsulat betreten. Bei ihnen seien zwei Pistolen und ein tragbarer Raketenwerfer gefunden worden. Welcher Gruppe die beiden Personen angehörten, wurde zunächst nicht bekannt.