Kurzer Prozeß für Öcalan
Im Blickpunkt: Ankläger plädieren
Von Gerd Höhler (Athen)
Im Prozeß gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan soll am heutigen
Dienstag die Staatsanwaltschaft plädieren. Rechtsstaatlichen Ansprüchen
genügt das Verfahren kaum.
Ministerpräsident Bülent Ecevit sieht in dem Verfahren einen "Quell des Stolzes für die Türkei"; peinlich hingegen, so der Premier, müsse der Prozeß all jenen im Ausland sein, "die glauben, uns Lehren in Sachen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte erteilen zu müssen". Tatsächlich unterscheidet sich der Prozeß gegen Öcalan erheblich von früheren Verfahren vor türkischen Staatssicherheitsgerichten. Die Sicherheitsvorkehrungen sind zwar extrem, aber im Gerichtssaal ist der Vorsitzende Richter Turgut Okyay um eine möglichst entspannte Atmosphäre bemüht. Er redet den Angeklagten höflich mit "Sie" an, was vor türkischen Gerichten durchaus nicht die Regel ist. Auch daß Öcalan gleich am ersten Verhandlungstag fast zwei Stunden lang zu Wort kam, ohne unterbrochen zu werden, war höchst ungewöhnlich.
Doch die ausgesuchten Umgangsformen, mit denen der Vorsitzende Okyay die Verhandlung führt, können nicht über die erheblichen Mängel hinwegtäuschen, mit denen das Verfahren behaftet ist. "In jeder Hinsicht rechtswidrig" findet Öcalan-Anwalt Ercan Kanar die Bedingungen, unter denen gegen seinen Mandaten verhandelt wird. Wegen massiver Behinderungen, wie er selbst sagt (oder wegen Differenzen mit Öcalan, wie Beobachter zu wissen glauben?), haben Kanar und zwei weitere Verteidiger inzwischen ihr Mandat niedergelegt. An Anwälten ist dennoch kein Mangel, über hundert halten sich bereit, jeweils zwölf dürfen in den Verhandlungssaal. Doch an eine ordentliche Verteidigung ist nicht zu denken. Während der 104 Tage Isolationshaft hatte Öcalan nur sporadisch und nie ohne Aufsicht Kontakt zu einigen seiner Anwälte.
Welche Wirkung diese Haftbedingungen auf Öcalans psychische Verfassung hatte, ist für Außenstehende schwer einzuschätzen. Der Angeklagte selbst erklärt zwar immer wieder, er sei weder mißhandelt noch unter Druck gesetzt sondern stets zuvorkommend behandelt worden. Doch wie glaubhaft diese Zusicherungen nach dreieinhalb Monaten strengster Einzelhaft sind, steht dahin. Öcalans Bruder Mehmet jedenfalls, der ihn dreimal im Gefängnis kurz sehen durfte, berichtete, der PKK-Chef sei bei seinem ersten Besuch "stark depressiv und unter starkem Streß", beim zweiten Treffen sogar "völlig geistesabwesend und gar nicht ansprechbar" gewesen.
Dem Prinzip der Öffentlichkeit wird das Verfahren nur mit erheblichen Einschränkungen gerecht. Wer auf die zum militärischen Sperrgebiet erklärte Gefängnisinsel Imrali übersetzen darf und Zugang zum Gerichtssaal erhält, entscheiden die Sicherheitsbehörden. Für die rund 900 Journalisten, die sich für den Prozeß gemeldet hatten, stehen nur 20 Plätze zur Verfügung. Sie werden im Rotationsprinzip vergeben. Ständig anwesend sind nur das Staatsfernsehen TRT, das in Ausschnitten und zeitversetzt berichtet, sowie die ebenfalls staatseigene Nachrichtenagentur Anadolu.
Das Hochverratsverfahren gegen Abdullah Öcalan, soviel steht schon jetzt fest, wird ein buchstäblich kurzer Prozeß. Der Vorsitzende Okyay drängt aufs Tempo. Nicht einmal die Mühe, die 139 Seiten umfassende Anklageschrift in voller Länge verlesen zu lassen, machte sich das Gericht. Es mußte bei Auszügen bleiben.
Wenn am heutigen Dienstag Staatsanwalt Cevdet Volkan plädiert,
könnte am Donnerstag die Verteidigung an der Reihe sein. Die Öcalan-Anwälte
werden wohl von der ihnen zustehenden Möglichkeit einer zweiwöchigen
Vertagung Gebrauch machen. Damit wäre nach insgesamt nicht einmal
zehn Verhandlungstagen Ende dieses Monats das Urteil zu erwarten.