Lebenslänglich trotz schiefer Beweislage?
In Hamburg soll ein Aktivist der türkischen DHKP-C wegen Mordes
verurteilt werden
Nachdem in den vergangenen Monaten bereits der Deutschland-Verantwortliche der größten marxistischen Partei der Türkei, DHKP-C, Serafettin G., wegen Rädelsführerschaft zu zehn und zwei weitere Personen zu sieben und fünf Jahren Haft verurteilt wurden, steht mit Ilhan Y. ein weiterer Aktivist dieser Organisation vor dem Oberlandesgericht Hamburg. Die Anklage lautet auf »Mord aus niederen und heimtückischen Beweggründen« - nach Auffassung der Prozeßbeobachtungsgruppe der DHKP-C-Prozesse ein geradezu ungeheuerlicher Vorwurf, wenn man die Beweislage in diesem Fall betrachtet. Karsten Ondreka von der Beobachtungsgruppe äußerte gegenüber jW die Ansicht, daß hier wie auch in anderen Prozessen gegen Mitglieder dieser Organisation deren Kriminalisierung angestrebt wird, indem man nachzuweisen versucht, daß innerhalb der DHKP-C eine terroristische Vereinigung existiert, die mit brutaler Gewalt gegen politische Gegner vorgeht.
Nachdem der Strafsenat am 4. Mai eine Zwischenbilanz im Fall Ilhan Y. veröffentlicht hatte, ist die Verhandlung am Montag wieder aufgenommen worden. Ilhan Y. ist angeklagt, den Imbißbesitzer Erol K., der auch als Anhänger der türkischen »Grauen Wölfe« (MHP) bekannt war, ermordet zu haben. Die Umstände, unter denen dieses Verfahren zustande kam, sind allerdings unter juristischen Gesichtspunkten fragwürdig. Ilhan Y. war bereits eineinhalb Stunden nach dem Vorfall in der Nacht zum 25. April 1998, bei dem Erol K. starb, festgenommen, nach drei Monaten aber per Gerichtsurteil freigelassen worden. Weder konnten Zeugen des Vorfalls ihn identifizieren noch wurden an Händen und Kleidung Schmauchspuren festgestellt.
Ein Jahr später wurde Y. in dem Prozeß gegen Serafettin G. und zwei weitere DHKP-C-Aktivisten als Zeuge geladen. Statt ihn jedoch in der eigentlichen Sache jenes Verfahrens zu befragen, hielt ihm die Staatsanwaltschaft lediglich vor: »Wir wissen, daß Sie Erol K. getötet haben. Wo haben Sie die Waffe versteckt?« Quasi aus dem Zeugenstand heraus wurde Ilhan Y. verhaftet, und zwar mit der gleichen Beweislage, mit der er im Vorjahr freigesprochen worden war.
Im Verfahren sind bisher alle Punkte der Beweislage, die für die Unschuld von Ilhan Y. sprechen, außer acht gelassen worden. Derzeit gibt es einen Streit um einen Mitschnitt eines Telefongesprächs, der als Hauptbeweismittel für die Schuld des Angeklagten gilt. Die Verteidigung hat daher am Montag zwei Beweisanträge gestellt, in denen unter anderem gefordert wird, das Band noch einmal anderen Übersetzern vorzulegen, um dessen Inhalt unabhängig von den bisher hinzugezogenen Experten zu beurteilen. Die Staatsanwaltschaft wiederum plant, auch in diesem Verfahren zwei Kronzeugen zu hören - ehemalige Aktive der DHKP-C, die zeigen sollen, daß es eine terroristische Vereinigung innerhalb der Partei gibt. Dies soll dem Strafsenat die Handhabe liefern, Ilhan Y. unter Hinzuziehung des Paragraphen 129a des Strafgesetzbuches (Bildung einer terroristischen Vereinigung) zu lebenslänglicher Haft zu verurteilen.
Jana Frielinghaus
Todesstrafe für Öcalan
PKK-Chef Öcalan muß nach Ansicht der türkischen Staatsanwaltschaft wegen Hochverrats zum Tode verurteilt werden. Die PKK warnte: "Es wäre Selbstmord für den türkischen Staat", wenn ihr Führer hingerichtet werde.
Ankara - In ihrem Schlußplädoyer erklärte die Anklagevertretung nach einem Bericht der türkischen Nachrichtenagentur Anatolia, Öcalan müsse wegen seiner Anführerschaft im 15 Jahre währenden Kampf der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) zum Tod durch den Strang verurteilt werden. Am Montag abend hatte die PKK erklärt, es wäre "Selbstmord für den türkischen Staat", wenn ihr Führer hingerichtet werde. "Alle Formen des Kampfes zur Verteidigung der nationalen Ehre, des Stolzes und der Ziele des kurdischen Volkes wären dann legitim", hieß es in der Erklärung der Separatisten. Das Verfahren gegen Öcalan war am Dienstag morgen nach dreitägiger Unterbrechung wiederaufgenommen worden.
Das Gericht ordnete eine Unterbrechung des Verfahrens bis zum 23. Juni an, um den Verteidigern des Separatistenführers die Vorbereitung auf ihre Plädoyers zu ermöglichen.
In der ersten Prozeßwoche hatte Öcalan die Hinterbliebenen
der Opfer um Entschuldigung gebeten. Außerdem sprach er sich für
eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts aus. Öcalan ist seit
seiner spektakulären Festnahme in der kenianischen Hauptstadt Nairobi
im Februar dieses Jahres auf der Gefängnis-Insel Imrali im Marmarameer
inhaftiert.