„Engstirnig, völkerrechtswidrig, erfolglos“
Wissenschaftler kritisieren die Strategie der Nato im Kosovo-Krieg
Von Hubert Wetzel
Es ist nicht die Aufgabe von Friedensforschern, Kriege gutzuheißen oder zu rechtfertigen. Entsprechend harsch fällt daher die Kritik der drei großen deutschen Friedensforschungsinstitute am Krieg der Nato gegen Jugoslawien aus. Engstirnig, völkerrechtswidrig, erfolglos – so lautet das Urteil der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (ISFH) und der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (Fest).
Engstirnig: Die Nato, so der Vorwurf der Gutachter, habe im Sommer 1998 das Krisenmanagement im Kosovo an sich gezogen, sich dann aber auf die „kargen Mittel“ einer Militärallianz beschränkt: auf „das Drohen mit Gewalt“. Die Diplomatie sei dabei zu kurz gekommen. Nachdem der Versuch, „mit der Brechstange“ Frieden herbeizuführen, in Rambouillet und Paris gescheitert war, sei der Nato nichts anderes übrig geblieben, als ihre Kampfflugzeuge loszuschicken. Daß und wie in Frankreich versucht wurde, Slobodan Milosevic Zugeständnisse abzuringen, konnte die Gutachter offenbar nicht vom Friedenswillen der Nato-Länder überzeugen; ebensowenig die fieberhafte Suche nach einer diplomatischen Lösung der Krise während der Bombardements.
Völkerrechtswidrig: Da die Nato für den Krieg keine Ermächtigung vom UN-Sicherheitsrat hatte, der allein den Einsatz von militärischer Gewalt erlauben darf, stellten die Luftangriffe einen Bruch des Völkerrechts dar, konstatiert das Friedensgutachten – eine Schlußfolgerung, die unter Völkerrechtlern freilich umstritten ist. Dem Dilemma des Kosovo-Krieges – Beachtung des Gewaltverbots oder gewaltsamer Schutz der Menschenrechte – entkommen aber auch die Friedensforscher nicht. Sie retten sich in den Hinweis, daß in Bürgerkriegen nur interveniert werden dürfe, wenn die Diplomatie ausgeschöpft und ein militärischer Erfolg abzusehen sei. Beides sei im Kosovo jedoch nicht der Fall gewesen.
Erfolglos: Durch die Angriffe auf Jugoslawien solle die Unterdrückung und Verfolgung der Kosovo-Albaner beendet werden, zitiert das Gutachten die Nato. Aber: „Dieses Ziel wurde verfehlt.“ Nicht wegen, aber trotz der Luftangriffe sei der Strom der Flüchtlinge und Vertriebenen angeschwollen. Unschuldig sei die Nato an dem Massenexodus jedoch nicht: „Von Mitverantwortung für Untaten läßt sich nicht freisprechen, wer ihre Ausführung de facto begünstigt“, heißt es im Gutachten.
Der an die Kritik geknüpfte Ausblick auf die möglichen Folgen des Kosovo-Krieges ist nicht freundlicher: Auch wenn die Nato den Kosovo-Krieg als Einzelfall darstelle, das Beispiel könnte – in Moskau oder Peking – Nachahmer finden, befürchten die Forscher.
Das „Friedensgutachten 1999“ beschäftigt sich nicht nur mit dem Kosovo-Krieg, allerdings überwiegen auch jenseits des Balkans die negativen oder zwiespältigen Entwicklungen die positiven. Im Kongo diagnostiziert das Gutachten einen „Afro-Militarismus“, der das zentralafrikanische Land in einen „Dreißigjährigen Krieg“ hineinzuziehen drohe. Aber während die internationale Gemeinschaft in Kosovo eingreife schaue sie im Kongo weg. Der Konflikt werde als innere Angelegenheit betrachtet, nicht einmal zur Entsendung von UN-Blauhelmen habe der Westen sich durchringen können.
Auch Nordkorea stellt nach Ansicht der Friedensforscher immer noch eine Gefahr für die Region dar. Trotz der dort wütenden Hungerkatastrophe sei das Regime nicht bereit, das Land zu öffnen. Statt dessen schotte Pjöngjang sich ab und heize den Rüstungswettlauf in der Region mit Raketentests an.
Die Liste weiterer Krisenherde, die nicht zur Ruhe kommen, ist lang: Im Südosten der Türkei schwele der Kurden-Konflikt weiter, stellt das Gutachten fest. Die überraschende Verhaftung von PKK-Chef Abdullah Öcalan habe das Problem verschärft, da sie dem türkischen Nationalismus Auftrieb verschafft habe. Auch am Persichen Golf habe sich die Lage nicht beruhigt. Der Streit zwischen den USA und Irak um die Abrüstungsbeobachter der UN, der im Dezember 1998 zum Rauswurf der Überwacher und zu amerikanisch-britischen Luftangriffen führte, ziehe sich immer noch hin: Fast täglich bombardierten US-Jets Ziele im Irak, und Anzeichen dafür, daß eine der beiden Seiten von ihrem sturen Kurs abweichen könnte, gebe es nicht, beklagen die Friedensforscher.
So fällt die Positivbilanz des Gutachtens mager aus: Die Einrichtung
des Internationalen Strafgerichtshofs 1998, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit
und gegen den Frieden ahnden soll, sei ein Schritt vorwärts gewesen,
schreiben die Friedensforscher. Und: Ruß land und der Westen hätten
sich trotz des Kosovo-Krieges auf einen revidierten Vertrag für konventionelle
Streitkräfte in Europa geeinigt. Aber auch die Freude darüber
ist nicht ungetrübt. Ob der neue Vertrag von den Parlamenten in Moskau
und Washington ratifiziert werde, sei noch offen.