Der Staatsanwalt fordert die Hinrichtung Öcalans
Die Anklagevertretung im Prozeß gegen den PKK-Chef plädiert
für dessen Tod durch den Strang
Von Frank Herrmann
ISTANBUL, 8. Juni. Im Prozeß gegen den Chef der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, hat die Anklage am Dienstag die Todesstrafe gefordert. Chefankläger Cevdet Volkan setzte sich damit über die Warnungen der Anhänger Öcalans und internationale Appelle gegen die Verhängung der Todesstrafe hinweg. In seinem Plädoyer im Gerichtssaal auf der Gefängnisinsel Imrali bezeichnete Volkan die Friedensangebote des Angeklagten als "unaufrichtig" und sagte, Öcalan sei für alle Handlungen der von ihm geführten "Terrororganisation" und damit für den Tod von 29 000 Menschen verantwortlich. Er habe versucht, die Einheit der Türkei mit Waffengewalt zu zerstören. Daher müsse er zum Tod durch den Strang verurteilt werden. Das Gericht vertagte sich auf den 23. Juni. Dann soll die Verteidigung ihr Plädoyer halten.
Ansatzpunkte für einen Kompromiß sind kaum noch erkennbar. Seit Beginn des Prozesses am 31. Mai hatten Gerüchte die Runde gemacht, Öcalan habe sich insgeheim mit dem Militär verständigt. Er wolle seine Anhänger aus den Bergen holen, dafür garantierten ihm die Generäle sein Leben. Doch gut eine Woche später waren die Fronten wieder klar. Die Armeespitze dementierte Kontakte mit der PKK und wiederholte ihre frühere Position: Mit Terroristen könne man nicht verhandeln. Der türkische Staat begehe "Selbstmord", wenn er Öcalan hinrichte, warnte auf der anderen Seite die PKK. In diesem Fall wäre jede Art des Kampfes legitim. Daß Emissäre des Generalstabs spätestens seit 1998 mit den Rebellen redeten, daß lokale Kommandeure schon lange eine Art heißen Draht zu ihren Gegnern haben, ist zwar ein offenes Geheimnis. Aber aus Sicht der Offiziere wäre das Eingeständnis von Kontakten jetzt die falsche Botschaft.
Auch der Druck der öffentlichen Meinung ist groß. Kriegsveteranen und Soldatenmütter bilden eine einflußreiche Lobby. Auch die Presse beteiligt sich an den "Kopf-ab"-Parolen. Als Öcalan eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts vorschlug, erntete er überwiegend Hohn. "Jusuf, Jusuf, Öcalan", titelte das Massenblatt "Sabah" – so hänselt man auf türkisch Angsthasen.
Heftig wird allerdings darüber debattiert, ob der Prozeß das schwierige Verhältnis zu Europa noch mehr belastet. "Die Europäer schauen uns sehr genau zu", meint Mehmet Ali Birand, einer der bekanntesten Kolumnisten des Landes. Zwischen Bonn und Paris, London und Rom warte man auf den Ausgang des Verfahrens, erst dann werde man die Weichen stellen.
Ankara steht ein schwieriger Balanceakt zwischen Racheschwüren und Europainteressen bevor. Trotz des Öcalan-Prozesses sah es außenpolitisch zuletzt nach Entspannung aus. Nach Birands Worten glaubt die Türkei, daß ihr die EU nach dem Nein von 1997 wieder die Tür zum Beitritt öffnen will. Der neue Premier Bülent Ecevit, so der Kommentator, sei in der Praxis viel weniger europafeindlich als befürchtet. Ecevit schrieb Bundeskanzler Gerhard Schröder kürzlich einen Brief, in dem er sich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtete. Allein das Todesurteil gegen Öcalan dürfte kaum zu neuen Spannungen führen. Sollte es aber vollstreckt werden, würden die Beziehungen schweren Schaden nehmen.