Die Drohung der PKK hat gewirkt. Zu Beginn der Touristensaison sind die türkischen Strände leer.
Von Astrid Frefel, Istanbul
Wer einen ruhigen Platz am Strand sucht, für den ist die Türkei in diesem Jahr der sicherste Tipp. Trotz 30 Grad Luft- und 25 Grad Wassertemperatur sind zu Beginn der Urlaubssaison an vielen Orten die Kapazitäten nur zwischen 10 und 25 Prozent ausgelastet. Manche Hotels, Pensionen und Geschäfte haben ihre Tore auch im Juni noch gar nicht aufgesperrt. Dabei ist in diesem Jahr die Zahl der besonders sauberen Strände, die mit einer blauen Flagge ausgezeichnet sind, von 46 auf 64 gestiegen.
Klagen aus der Touristikbranche sind im Frühjahr nichts Aussergewöhnliches. Diesmal sind sie aber berechtigt. Nachdem die PKK Mitte März vor Anschlägen auf die Fremdenverkehrsorte an der türkischen Südküste gewarnt hatte, ist etwa bei Öger-Tours, dem wichtigsten deutschen Reiseveranstalter, die Zahl der Buchungen schlagartig auf ein Fünftel des normalen Wertes gefallen. Zudem hagelte es Stornierungen. Insgesamt kamen in den ersten vier Monaten 15 Prozent weniger Touristen in die Türkei als im Vorjahr. Der Einbruch betraf vor allem Gäste aus Deutschland, Grossbritannien, Österreich und Holland.
1998 reisten nach offiziellen Angaben 9,7 Millionen Touristen in die Türkei und gaben hier rund 15 Milliarden aus. Etwa 2,3 Millionen Gäste kamen aus Deutschland. Etwa 2 Millionen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Dieses Verhältnis könnte sich im laufenden Jahr umkehren. Für 1999 waren die Planer von einem Anstieg der Besucherzahl auf 11 Millionen und 17 Milliarden Mark ausgegangen. Diese Werte sind nun völlig illusorisch geworden. Experten gehen von einem Einbruch von rund 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus. Der Verband der Reiseunternehmen spricht von 3,8 Milliarden Mark Mindereinnahmen in der Zeit zwischen dem 15. Februar und Ende Mai. 50 000 Angestellte habe ihre Arbeit verloren. Insgesamt bietet die Branche Beschäftigung für 2,5 Millionen Menschen.
Verlorenes Jahr
Die Zahl der verfügbaren Charterflüge ist um etwa 60 Prozent zurückgegangen. Und auch die staatliche Fluggesellschaft THY musste einen Rückgang der Passagierzahlen im internen Verkehr registrieren. Die THY geht nicht von einer schnellen Erholung aus. Eigene Marktforschung und die Buchungsstatistik zeigten einen kräftigen Einbruch bei den ausländischen Touristen, liess das Unternehmen wissen. Pläne für einen weiteren Streckenausbau nach Barcelona, Warschau und Prag wurden deshalb vorerst auf Eis gelegt, und die Erneuerung der Flugzeugflotte wurde verlangsamt.
Dieses Jahr sei verloren, erklärte eine Restaurantbesitzerin in Selcuk bei Efes gegenüber der Tageszeitung "Radikal", die unter dem Titel "die Tränen des Tourismus" eine ganze Serie abdruckte. Der Tenor war überall der gleiche. Solange der Öcalan-Prozess nicht vorbei und es nicht klar sei, was mit dem PKK-Chef schliesslich geschehe, werde sich die Situation nicht ändern, ist ein Reisebürobesitzer in Istanbul überzeugt. Der Verband der türkischen Reiseagenturen hat die Medien des Landes eindringlich aufgefordert, keine Nachrichten und Bilder mehr zu verbreiten, die dem Tourismus noch weiter schaden könnten.
Hohe Rabatte
Mit Preisnachlässen versuchen die Hotelbesitzer zu retten, was noch zu retten ist. Die Rabatte betragen bis zu 50 Prozent. In Fünfsternhäusern ist die Halbpension in dieser Saison bereits für 90 Franken zu bekommen. Die Branche hofft nun, dass im Sommer einheimische Touristen die Löcher stopfen helfen. Der Schaden dürfte aber nicht auf dieses Jahr beschränkt bleiben. Auch die Türkei wollte sich für das Jahr 2000 mit speziellen Programmen unter dem Motto "Religionstourismus" ein Stück von dem Jahrtausendkuchen abschneiden. Jetzt fürchtet die Branche bereits, dass dies ein Traum bleiben könnte.
Die Drohungen der PKK sind aber nicht das einzige Problem des türkischen Tourismus. Dieser Sektor leidet seit mehreren Jahren an einer strukturellen Krise. Da man sich zu einseitig auf den Billigtourismus gestützt hat, halten die Einnahmen mit den Gästezahlen nicht Schritt. Rechnet man die Profite gegen die Ausgaben für neue Strassen und Flughäfen auf, bleibt unter dem Strich kaum mehr etwas übrig. Eine langfristige Tourismuspolitik ist aber angesichts der Tatsache, dass die Minister in Abständen von wenigen Monaten wechseln, nicht möglich.
Tages-Anzeiger, 10.6.99