Ein internes Papier rät Hamburgs Innenbehörde, abgelehnte Asylbewerber auch gegen ärztlichen Rat auszuweisen
Von Karsten Plog (Hamburg)
Die Hamburger Ausländerbehörde hat eine psychisch kranke Kurdin und ihre drei Kinder in die Türkei abgeschoben. Kein Einzelfall: In jüngerer Zeit sind bereits mehrfach Kranke aus der Hansestadt abgeschoben worden - womöglich aufgrund einer Weisung der Innenbehörde, ärztliche Atteste zu übergehen.
Die abgeschobene Kurdin leidet nach ärztlicher Auskunft an "schweren depressiven Erschöpfungszuständen", seit ihr Mann vor einem Jahr starb. Sie wurde ärztlich behandelt und hatte eine Duldung bis zum 19. Juli. Diese wurde von der Ausländerbehörde jedoch am Donnerstag wiederrufen. Am frühen Morgen wurde die Familie von sechs Polizisten aus dem Bett geklingelt und in Abschiebehaft genommen. Am Nachmittag wurde sie in ein Flugzeug nach Istanbul gesetzt.
"Ich schäme mich für das Vorgehen der Ausländerbehörde", schimpfte die GAL-Fraktionsvorsitzende Antje Möller. In den vergangenen Wochen seien aus Hamburg mindestens acht Menschen abgeschoben worden, die zum Reisen zu krank gewesen seien. Die Abgeordnete Susanne Uhl von der "Regenbogen"-Gruppe, die sich kürzlich von der GAL abspaltete, spricht von "einer neuen Methode der Ausländerbehörde, um möglichst schnell viele Menschen abzuschieben ohne Rücksicht auf die Menschen selbst".
Kürzlich war in der Hansestadt ein internes Papier der Innenbehörde bekannt geworden, in dem unter anderem überlegt wird, wie Flüchtlinge trotz Vorlage ärztlicher Atteste schneller abgeschoben werden können. Zwar haben Innensenator Harmuth Wrocklage (SPD) und die GAL-Fraktionsvorsitzende Antje Möller versichert, das Papier werde so nicht in die Praxis umgesetzt. Einiges spricht jedoch dafür, daß dieser Hinweis in der Ausländerbehörde nicht angekommen ist.
In dem Papier werden Hamburger Ärzte verdächtigt, Ausländern "Gefälligkeitsbescheinigungen" auszustellen, um deren Abschiebung zu verhindern. Genauere Belege dafür werden nicht angeführt. Die Autoren weisen lediglich darauf hin, die Bescheinigungen würden von einigen wenigen Ärzten ausgestellt und seien "in diversen Fällen" inhaltlich gleichlautend. Andererseits heißt es: "Die in vielen Fällen vorgenommene ,Überprüfung' der vorgelegten Atteste durch die Amtsärzte der bezirklichen Gesundheitsämter führt nur in Ausnahmefällen zu dem tatsächlichen Vollzug der Abschiebungen." Anders ausgedrückt: Die Amtsärzte bestätigen in der Regel die Befunde ihrer Kollegen.
Zur Lösung des Problems wird in dem Papier der Innenbehörde vorgeschlagen, Ausländer trotz Vorlage eines Attests in Begleitung von Ärzten und Pflegepersonal abzuschieben, "sofern eine ernstzunehmende gesundheitliche Gefahr (insbesondere Suizidgefahr)" nicht zu befürchten sei. Ärzte und Pflegepersonal könnten "auf Honorarbasis" für diese Aufgaben gewonnen werden. In Einzelfällen "könnte der begleitende Arzt bereits im Vorfeld der Abschiebungen mit den betroffenen Personen Kontakt aufnehmen, um sich über das Krankheitsbild zu informieren und ggf. notwendige Medikamentenversorgung für die Dauer der Abschiebung zu organisieren".
Das alles läuft auf eine Beurteilung und Entscheidung im Schnellverfahren hinaus. Scharfer Protest kam auch aus der Ärzteschaft. Dabei geriet auch der Vorstand der Hamburger Ärztekammer in die Kritik. Dieser hatte die behördlichen Vorwürfe gegen Ärzte im Hamburger Ärzteblatt übernommen und die Kollegen ermahnt, sorgfältigere Atteste auszustellen.
Der Neurologe K. E. Weber, Beauftragter der Ärtztekammer für gesundheitliche Belange von Migranten, reagierte empört: "Aufgabe des Vorstandes wäre es in meinen Augen vielmehr gewesen, zunächst eine sorgfältige Prüfung der ,Informationen' und ihres politischen Hintergrundes vorzunehmen und sich schützend vor die von ihr vertretenen Ärzte zu stellen."
Frankfurter Rundschau, 14.6.99