Sie werden uns ins Gefängnis werfen und schlagen"
DREISEN: Familie Dogan sieht sich durch Abschiebung in großer Gefahr - Pfarrerin Wahl-Risser ringt um unbefristete Duldung
"Wenn wir zurückkommen, bringen sie uns um! Sie werden uns sofort ins Gefängnis werfen und schlagen! Wir haben gedacht, wir hätten hier unser Leben gerettet - jetzt ist alles umsonst." Sami Dogan, seine Eltern und Schwestern sind verzweifelt. Der junge Mann hat sich nicht nur als Wehrdienstverweigerer aus christlicher Überzeugung in der Türkei mißliebig gemacht. Seine Familie gehört der winzigen Minderheit syrisch-orthodoxer Christen an, die nicht türkisch, sondern aramäisch spricht.
Ihre Heimat Tur Abdin liegt im Grenzgebiet zu Syrien, einem Hauptkriegsherd zwischen Türken und Kurden. Einig sind sich die Feinde nach Darstellung der Dogans allerdings in ihrem Haß auf die Aramäer. Eine von dem in Heilbronn lebenden Gemeindereferenten der syrisch-orthodoxen Kirche Demir herausgebene Liste nennt 34 in den letzten 10 Jahren von muslimischen Fanatikern Ermordete, zwei von ihnen sind Familienangehörige der Dogans aus Hah. Vater Gevriye war dort vier Monate lang stellvertretender Bürgermeister, nachdem sein Vorgänger durch eine Mine umgebracht wurde und betrieb eine Landwirtschaft.
Dogans wurden nach eigenen Angaben häufig von türkischer Miliz
mißhandelt, ihre Äcker und Weinberge verwüstet. Sami hat
vor allem Angst um seine Schwestern - er selber werde wie ein Verbrecher
gesucht. Mit der Flucht gab die Familie alles auf. Ihr Asylantrag wurde
vor zwei Jahren abgelehnt, und soeben in letzter Instanz der Berufungsantrag.
"Das Oberverwaltungsgericht Koblenz", so teilt der Karlsruher Anwalt Müller,
Experte in Asylfragen, mit "hält an seiner bisherigen Rechtsprechung
fest, daß Christen im Tur Abdin keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt
sind und außerdem eine Fluchtalternative in einer anderen Gegend
der Türkei haben würden. "Damit ist das Asylverfahren endgültig
beendet und die Ausreisefrist von einem Monat in Lauf gesetzt." Ausländeramtschef
Karl Weid liegt derzeit noch keine offizielle Anweisung vor. Aber Dogans
Abschiebung ist abzusehen. Durch Zufall sind sie in Dreisen gelandet, unterstehen
also der rheinland-pfälzischen Justiz. Den Asylanträgen ihrer
ebenfalls 1995 nach Berlin, Baden-Württemberg Nordrhein-Westfalen
geflohenen Verwandten wurde dagegen längst stattgegeben. Wie Pfarrerin
Ulrike Wahl-Risser erfahren hat, soll Rheinland-Pfalz das einzige Bundesland
sein, das syrisch-orthodoxe Christen nicht als verfolgte Gruppe anerkennt.
Pfarrerin Ulrike Wahl-Risser, für die protestantischen Gemeinden Marnheim
und Dreisen zuständig, will jetzt mit allen noch zu Gebote stehenden
Mitteln die drohende Ausweisung verhindern. Sie kennt die Familie, die
regelmäßig an ihren Gottesdiensten teilnimmt, seit Jahren, schildert
sie als integriert. Der Vater arbeitet im Rahmen der Sozialhilfeempfängern
zugebilligten Beschäftigungen als Hilfskraft des Gemeindedieners,
die 16jährige Ilyan besucht die Hauptschule Göllheim und steht
im nächsten Jahr vor ihrem Schulabschluß, Sami und die 20 jährige
Bessi absolvieren beim CJD in Kirchheimbolanden Deutsch- und EDV-Kurse,
sprechen inzwischen ausgezeichnet deutsch, die 28 jährige Nisani lebt
zu Hause. Die jungen Leute sind mittlerweile gut in die Jugendgruppe der
Stadtmission eingebunden. Alle Dogans gelten als hilfsbereit, fleißig,
bescheiden. Viele Dreisener Bürger, so Wahl-Risser, hätten sich
inzwischen bereiterklärt, für die Familie einzutreten. Geld für
die Anwaltskosten war bereits vor zwei Jahren von der Kirchengemeinde Marnheim
und der Stadtmission gesammelt worden. Eine letzte Möglichkeit sieht
die Pfarrerin in der Erwirkung einer unbefristeten Duldung, die einem Gnadenerlaß
entspräche. Also verfaßt sie Briefe an Innenminister Zuber,
an die Petitionsausschüsse von Land- und Bundestag, bittet Verbands-
und Ortsbürgermeister um ihre Fürsprache; "Caritas" und das Diakonische
Werk sagten bereits ihre Unterstützung zu. Wichtig, das weiß
sie, ist jetzt, soviele Menschen wie möglich auf das Schicksal der
Dogans aufmerksam zu machen- die bereits 97 begonnene Unterschriftensammlung
wird wiederaufgenommen, jeder Name zählt, und die Zeit drängt.
Informationen erteilt Pfarrerin Wahl-Risser telefonisch unter 06352/8756.
(fun)