Pack die Richterrobe ein
Der Prozeß gegen einen Kurden muß neu aufgerollt werden,
weil Zeugen verwechselt wurden und das Gericht Ferien macht
Von Marion Meier
Seit vier Monaten sitzt der Kurde Mehmet K. in Untersuchungshaft. Und obwohl sein Prozeß vergangene Woche begonnen hat, wird das noch eine Weile so bleiben. Denn die Verhandlung vor dem Berliner Landgericht wurde vorerst ausgesetzt - weil sich zwei wichtige Zeugen im Urlaub befinden. Mehmet K. wird vorgeworfen, bei den Kurden-Ausschreitungen am 17. Februar einen Polizisten in der Nähe des israelischen Konsulats mit einer Eisenstange verletzt zu haben. Die Anklageschrift war schnell formuliert, der Prozeß schnell angesetzt. Doch nun scheinen die Behörden so viel zu verzögern wie nur möglich. Der Angeklagte muß sich in Geduld üben: Erst verwechselte das Gericht einen Zeugen, zwei andere waren im Urlaub. Und wenn die beiden endlich zurückkommen, fahren erst einmal zwei Mitglieder des Gerichts in die Ferien. Dabei handele es sich, so erklärt die Kammer, um langgebuchte Fernreisen. Und die könne man nicht absagen. Nun muß der Prozeß völlig neu aufgerollt werden. Denn zwischen zwei Verhandlungstagen dürfen nicht mehr als zehn Tage liegen.
Trifft auf Mehmet K. nicht zu, was auf andere Beschuldigte zutrifft? Ob ein mutmaßlicher Täter überhaupt in Untersuchungshaft kommt, entscheidet ein Richter. Grundsätzlich muß ein dringender Tatverdacht vorliegen. Und je nachdem, wie hoch die mögliche Strafe ist, schätzt er die Fluchtgefahr ein. Danach legt er eine vorläufige Inhaftierung fest. Außerdem soll der Richter überprüfen, ob der Beschuldigte sozial gebunden ist, ob er gemeldet ist und ob er Arbeit hat.
Mehmet K. hat soziale Bindungen: Er lebt seit seinem 13. Lebensjahr in Deutschland, hat hier eine Familie und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Aber die Ausländerbehörde hat ihm schon gedroht, ihn aus Deutschland auszuweisen. Dabei unterliegt K. eigentlich einem besonderen Abschiebeschutz. Nun wird ihm aber besonders schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Wird er dazu verurteilt - ohne Bewährung -, kann er in die Türkei abgeschoben werden. Davor habe er riesige Angst: "Es besteht ja die große Gefahr, daß er in der Türkei sofort festgenommen und auch gefoltert wird. Schließlich gelten dort alle Demonstranten als PKK-Aktivisten", sagt Verteidigerin Bettina Jansen.
Mehmet K. habe das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren, unabhängig davon, ob er den Polizisten bei den Krawallen in der Nähe der israelischen Botschaft mit der Eisenstange verletzt habe oder nicht, sagt Jansen. Die Anwältin vermutet jedoch, daß an ihrem Mandanten ein Exempel statuiert werden soll: "Selbst wenn er freigesprochen wird, so saß er doch einige Monate in Haft. Und das ist es wahrscheinlich, was man glaubt, daß die Öffentlichkeit will."
Justizsprecherin Michaela Blume nennt die Vorwürfe "völligen
Blödsinn". Mehmet K.s Haftdauer habe eine durchaus normale Länge.
Es sei auch an der Tagesordnung, daß Zeugen verwechselt würden
oder nicht zu einem Termin erschienen. Derzeit säßen noch zwischen
zehn und zwölf Angeklagte im Zusammenhang mit den Krawallen um die
israelische Botschaft in Untersuchungshaft. Aber der Verteidigung kommt
der Prozeß nicht nur wegen der Verzögerungen merkwürdig
vor. "Es ist nur ein Verhandlungstag angesetzt worden, obwohl dem Gericht
klar sein müßte, daß das nicht an einem Tag zu regeln
ist", sagt Jansen. Hätte das Gericht von vornherein mit einer längeren
Dauer gerechnet, wäre der Urlaub der Mitarbeiter kein Hindernis: Dann
hätte man Ersatzschöffen bestellt.