Mehr Menschenrechtsklagen in Straßburg anhängig
Dieses Jahr 10.000 Eingänge beim Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte
Freiburg (taz) - Immer mehr EuropäerInnen suchen Unterstützung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Innerhalb von vier Jahren hat sich die Zahl der Klagen verdoppelt. Dies berichtete gestern der Schweizer Präsident des EGMR, Luzius Wildhaber. Das Straßburger Gericht wacht über die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres sind in Straßburg mehr als 3.500 Klagen eingegangen - soviel wie im ganzen Jahr 1995. Gegenüber dem Vorjahr ergibt sich immerhin noch eine Steigerung um fast 20 Prozent. Dies ist allerdings kein Indiz für eine Verschlechterung der Menschenrechtslage in Europa. Beim Gerichtshof führt man den steilen Anstieg der Klagen nicht zuletzt darauf zurück, daß immer mehr Staaten Osteuropas dem Europarat beitreten und sich damit auch zur Einhaltung der Menschenrechtskonvention verpflichten.
Insgesamt sind am Gerichtshof derzeit rund 10.000 Verfahren anhängig. Dabei stammen die meisten Klagen, 2.115, aus der Türkei. Anders als bei anderen Mitgliedsstaaten können Klagen aus diesem Land direkt an den Straßburger Gerichtshof gerichtet werden, weil den türkischen Gerichten in heiklen Fällen keine unabhängige Untersuchung zugetraut wird. Auch Italien liegt mit 1.472 Klagen weit vorn. Hier liegt der Grund meist in der langen Verfahrensdauer. Aus Deutschland sind nur 460 Verfahren in Straßburg anhängig. Wer beim Bundesverfassungsgericht keinen Erfolg hatte, trägt den Fall nicht noch auf die europäische Ebene.
Erst 1998 war der EGMR zu einem Gericht mit VollzeitrichterInnen reformiert worden, um das europäische Verfahren zu beschleunigen. Auch dies könnte ein Grund für seine steigende Attraktivität sein.
Christian Rath