Öcalan: "Ich bin ein Kämpfer für den Frieden"
Istanbul (dpa) - Der Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, wird in seiner Verteidigungsrede erneut zum Frieden aufrufen.
"Ich bin ein Kämpfer für den Frieden. Der Friede wird der Türkei unglaublich große Chancen eröffnen und den Weg für sehr große Gewinne auf wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ebene bereiten", zitierte die türkische Zeitung "Radikal" am Dienstag aus der Verteidigungsrede des Kurdenführers. Der Hochverratsprozeß gegen Öcalan wird am Mittwoch auf der Gefängnis-Insel Imrali im Marmarameer fortgesetzt werden.
"Dieser Prozeß muß dem Frieden dienen", wird Öcalan demnach in seiner mehr als 40 Seiten langen Verteidigungsrede sagen. "Wenn es keine Lösung geben sollte, dann wird sich der Krieg noch ausweiten, dann wird noch mehr Blut fließen." Nach der Verteidigungsrede Öcalans wollen seine Anwälte eine etwa 100 Seiten lange Verteidigung vortragen. Die Anwälte rechnen Presseberichten zufolge damit, daß der Prozeß innerhalb einer Woche zu Ende sein könnte. Das Gericht hatte den Anwälten eine 15tägige Pause eingeräumt, um die Verteidigungsstrategie vorzubereiten.
Die Staatsanwälte und Richter haben sich unterdessen auf den Weg nach Imrali gemacht. Der Militärrichter ist nach einem Bericht der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu nicht mit aufgebrochen. An seiner Stelle sei der zivile Ersatzrichter mitgefahren. Das Parlament hatte erst am Freitag eine Reform der umstrittenen Staatssicherheitsgerichte beschlossen und damit die Zusammensetzung des Gerichtes geändert. Bisher gehörten dem Richtergremium zwei zivile und ein Militärrichter an.
Die Anklage wirft öcalan Angriff auf die Einheit des Staates nach Paragraph 125 des türkischen Strafgesetzbuches und zahlreiche Morde an türkischen Soldaten und Zivilisten vor. Im Falle eines Schuldspruchs droht Öcalan die Todesstrafe. In der Türkei ist allerdings seit 1984 niemand mehr hingerichtet worden. Bei Kämpfen zwischen der PKK und dem türkischen Militär sind in den vergangenen 15 Jahren rund 30 000 Menschen getötet worden.
Gleich zu Beginn des Prozesses am 31. Mai hatte sich Öcalan zur Überraschung vieler Beobachter bei den Hinterbliebenen der Opfer entschuldigt und um eine Chance für den Frieden gebeten. Er könne die PKK- Rebellen innerhalb kurzer Zeit aus den Bergen holen. Vor Gericht kam es zu ergreifenden Szenen, als Hinterbliebene unter Tränen schilderten, wie ihre Angehörigen von PKK-Kämpfern getötet wurden. Ein Veteran nahm im Gerichtssaal seine Beinprothese ab und warf sie wütend auf den Boden.
Unterdessen wurde bekannt, daß Akin Birdal von seinem Posten als Vorsitzender des Menschenrechtsvereins (IHD) zurückgetreten ist. Nach Angaben des IHD hat das türkische Innenministerium den inhaftierten Birdal zum Rücktritt gezwungen. In einem Brief aus dem Gefängnis in Ankara habe Birdal geschrieben, daß die Forderung zwar illegal sei. Er würde dieser Aufforderung aber nachkommen, um den Menschenrechtsverein nicht in Schwierigkeiten zu bringen und auch seine Mitgliedschaft beenden.
Birdal wurde im vergangenen Jahr wegen separatistischer Äußerungen
zum Weltfriedenstag am 1. September 1996 und zur Weltfriedenswoche im September
1995 verurteilt. Vor kurzem hatte er seine Haftstrafe angetreten. Vor einem
Jahr war der Menschenrechtler bei einem Attentat lebensgefährlich
verletzt worden. Birdal ist Träger des Menschenrechtspreises 1998
der deutschen Sektion von Amnesty International (AI).