Der Tagesspiegel, 25.6.99
"Entscheidend ist, was die PKK befiehlt"
VON JEANNETTE GODDAR
Zu Zeiten, als die Berliner Kurden fast täglich gegen die Festnahme Abdullah Öcalans demonstrierten, waren auch die Räume der Kurdischen Gemeinde in der Dresdner Straße in Kreuzberg immer prall gefüllt. Jetzt sitzen hier lediglich eine Handvoll Männer und trinken Tee. Die Ruhe täuscht. "Natürlich verfolgen viele den Öcalan-Prozeß", sagt einer, der seinen Namen nicht sagen möchte, "aber was wir da sehen, ist genau die Farce, die wir erwartet haben." Nein, er sei kein besonderer Anhänger der PKK, "aber Kurde bin ich". Ein paar Männer nicken. Was sie tun werden, wenn Öcalan zum Tode verurteilt wird? "Ich glaube nicht, daß es hier in Deutschland zu Gewalt kommt", sagt einer, "aber in der Türkei wird die Hölle los sein." Vertreter kurdischer Organisationen warnen aber auch vor einer erneuten Eskalation der Lage in Berlin. "Es wird darauf ankommen, ob das Todesurteil nicht nur verhängt, sondern auch vollstreckt wird", sagt Riza Baran, der für Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt, "wenn ja, wird es auch in Westeuropa Chaos geben." Bereits jetzt sei die Stimmung bei den Berliner Kurden "sehr angespannt." Baran appelliert an die deutschen Verantwortlichen, das Anliegen der Kurden ernst zu nehmen und nicht jede Aktivität als PKKnah zu verbieten. "Ich hoffe, daß sie andere Möglichkeiten haben werden, als auf die Barrikaden zu gehen." Auch Giyassettin Sayan, Vorstandsmitglied der Kurdischen Gemeinde und PDS-Abgeordneter, konstatiert, schon die jüngsten Enthüllungen über die Vorgänge vor dem israelischen Genralkonsulat hätten zu einer massiven Verschlechterung der Stimmung beigetragen. "Die Kurden haben immer gesagt, daß sie nicht mit Gewalt dort eindringen wollten. Viele sind stocksauer, weil ihnen monatelang niemand geglaubt hat." Daran, daß Öcalan am Leben gelassen werde, glaubt Sayan nicht. "Die türkische Regierung will keinen Nelson Mandela." Der Sinneswandel Öcalans, der sich in seiner Verteidigungsrede am Mittwoch der türkischen Regierung zum wiederholten Mal als Vermittler angeboten hat, stößt auf geteiltes Echo. "Viele Kurden sehen das nicht so" sagt Siamend Hajo vom Kurdischen Elternverein, "Öcalan hat schon 1993 einen Waffenstillstand angeboten. Deshalb haben seine Aussagen vor Gericht auch nichts daran geändert, daß viele ihn als Freiheitskämpfer sehen." Nach Angaben des Kurdischen Elternvereins hat sich seit der Festnahme Öcalans im Februar vor allem das Verhältnis kurdischer und türkischer Berliner Schüler verschlechtert. "Es sind Freundschaften daran zerbrochen, daß plötzlich zwei Welten aufeinander prallten", so Siamend Hajo, der bisher erfolglos versucht hat, gemeinsam mit dem Türkischen Elternverein an den Schulen Veranstaltungen durchzuführen. "Offensichtlich will man dort mit uns nicht reden." Der Vorsitzende des Türkischen Elternvereins war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Auf offizieller Ebene gibt es keine Kontakte zwischen türkischen und kurdischen Organisationen. "Inoffiziell haben wir immer miteinander geredet", sagt Baran, der seit über 20 Jahren an einem Dialog zwischen Kurden und Türken arbeitet, "aber offiziell ist das schwierig." Nach Angaben von Baran agieren die meisten türkischen Vereine in Berlin immer noch unter dem Diktat der türkischen Regierung. Selbstbestimmt zu handeln ist wiederum auch den politisch Aktiven unter
den 60 000 Berliner Kurden offenbar untersagt. Fragt man den Kultur- und
Hilfsverein danach, ob es zu Demonstrationen komme, lautet die Antwort:
"Da müssen Sie die PKK-Anhänger fragen." Hajo wird noch deutlicher:
"Entscheidend ist, was die PKK befiehlt. Solange die PKK nicht will, daß
es zu Demonstrationen kommt, wird es keine geben. So ist das in straff
geführten Organisationen: Das Zentralkomitee entscheidet."
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