Der Tagesspiegel, 25.6.99
Polizei ist vorbereitet, hofft aber auf ruhigen Verlauf
VON HOLGER STARK Berlin ist nur ein Nebenschauplatz, und dennoch haben die Sicherheitsbehörden "enorme Sicherheitsmaßnahmen" angeordnet: Wenn auf der türkischen Insel Imrali das erwartete Todesurteil gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan verkündet wird, soll es in der Hauptstadt nicht noch einmal zu dramatischen Szenen wie vor dem israelischen Generalkonsulat im Februar kommen. Bereits Anfang dieser Woche trafen sich deshalb die Staatsschützer der Länder beim Bundeskriminalamt in Meckenheim, um die Schutzkonzepte bundesweit zu koordinieren. Tägliche Lageanalysen vervollständigen den Austausch. In Berlin sei "derzeit alles gespannt ruhig", wissen Sicherheitsexperten zu berichten. Ältere Kurdinnen und Kurden hätten mäßigend auf die junge Generation eingewirkt; in Polizeikreisen und beim Verfassungsschutz geht man deshalb nicht davon aus, daß noch einmal Besetzungen wie am Tag nach der Öcalan-Entführung geplant sind - Einzelaktionen seien aber nie auszuschließen. Die Polizei hat trotzdem für die Einrichtungen jener Länder, die mit der Entführung Öcalans in Verbindung gebracht worden sind, aber auch für türkische und kurdische Einrichtungen "erhebliche Schutzmaßnahmen" getroffen. Wesentlich mehr als das PKK-Umfeld machen Experten derzeit türkische Gruppen Sorgen. Bereits beim Sieg der türkischen Fußballnationalmannschaft gegen das deutsche Team waren unter anderem Anhänger der rechtsextremen Grauen Wölfe in einem Autokorso provozierend durch Kreuzberg gefahren. Sollten nationalistische Türken auf diese Weise ein Todesurteil gegen den PKK-Vorsitzenden Öcalan "feiern", gelten gewalttätige Konflikte zwischen jungen Kurden und Türken in Kreuzberg als sehr wahrscheinlich. Der Berliner Verfassungsschutz rechnet allerdings erst für kommenden
Dienstag mit einem Urteil gegen Öcalan. Innenstaatssekretär Kuno
Böse glaubt deshalb, daß sich "die Sicherheitslage europaweit
in den nächsten Tagen zuspitzen" wird. Allerdings dominiert in Sicherheitskreisen
die Einschätzung, die PKK-Führung werde noch nicht bei der Verkündung
des Todesurteils, sondern erst bei einer möglichen Vollstreckung dagegen
mobilisieren. Vorher sollen die diplomatischen Aktivitäten europäischer
Länder nicht durch Guerilla-Aktionen gestört werden. Der Berliner
Verfassungsschutz bezeichnet deshalb erst die Monate September und Oktober
als die "kritische Phase".
|