Westfälische Nachrichten, 26.6.99

Kreis Steinfurt hat die Fahndung aufgehoben Westerkappeln: Kirchenasyl beendet

Westerkappeln (fk) - »Das ist ein wichtiges Etappenziel.« Pastor Reiner Ströver, die Mitglieder des Arbeitskreises Asyl und vor allem die Bilens haben am Freitag kräftig aufgeatmet. Der Kreis Steinfurt hat die Fahndung gegen die kurdische Familie am Morgen aufgehoben. Damit ist das Kirchenasyl beendet. »Die Familie kann sich wieder völlig frei bewegen«, teilte Kreisdirektor Dr. Wolfgang Ballke den WN mit.

Dieser Entscheidung vorausgegangen war ein Beschluß des Deutschen Bundestages am Donnerstag. Mit knapper Mehrheit votierte das Plenum gegen die Stimmen von CDU und FDP für eine Wiederaufnahme des Asylverfahrens. Bereits in der vorherigen Woche hatte der Petitionsausschuß in Bonn - wie berichtet - die gleiche Empfehlung ausgesprochen.

»Wir sind natürlich froh, daß der Kreis so schnell reagiert«, freute sich Ströver über die Nachricht aus Steinfurt. Für den Kreis sei das Thema »erst einmal durch«, wie Ballke erläuterte. Die Familie Bilen müsse allerdings noch einen Antrag auf Duldung stellen. Innerhalb eines Zeitraumes, den er nicht abschätzen könne, so Ballke, werde das Bundesinnenministerium eine Aussage zu dem Fall Bilen treffen. Sollte die Regierung keine »Möglichkeit der Abhilfe« schaffen, wie es der Petitionsausschuß empfohlen hat, »stehen wir wieder vor der gleichen Situation wie am Anfang«, gab Ballke zu bedenken.

Das weiß auch Ströver, der dennoch guter Dinge ist, daß das Verfahren ein positives Ende für die Bilens nimmt. Sollte es wider Erwarten in Bonn doch einen Rückschlag geben, »haben wir noch ein Trumpf-As im Ärmel«, glaubt der evangelische Pfarrer. Er weist auf rund 1000 Unterstützer-Unterschriften hin, die »amnesty international« gesammelt habe, um die Familie vor einer Abschiebung in die Türkei zu schützen. Dort droht dem Vater nach Überzeugung der Kirchengemeinde wegen früherer politischer Aktivitäten die sofortige Verhaftung.

Nach Monaten des Hoffens und Bangens habe sich am freitag beim Ehepaar Bilen die Spannung erst langsam gelöst. »Sie haben ja auch viel durchgemacht«, sagte Ströver. Dann aber sei Freude aufgekommen. »Endlich können sie wieder einkaufen, ohne Angst zu haben.«

In der Kirche wird die Familie aber erst noch wohnen bleiben. »Wir wollen ja nicht sofort räumen«, betonte Ströver. In den Ferien würden die Räume ohnehin nicht gebraucht. Deshalb dürften die Bilens so lange dort bleiben, bis eine neue Wohnung gefunden ist.

Für die Suche habe die Flüchtlingsbeauftragte des Kirchenkreises, Christel Franke, Kontakt zur Ausländerbehörde aufgenommen. Der Wohnort der Bilens sei eigentlich Lotte. »Das optimale wäre aber, wenn die Bilens in Westerkappeln bleiben könnten«, meinte Ströver. Auch mit der Gemeindeverwaltung werde deshalb bereits gesprochen.

Schily läßt Ausländer wieder gewaltsam abschieben - Pro Asyl nennt Entschluß "äußerst problematisch"

Die gewaltsame Abschiebung von Ausländern aus Deutschland kann nach einer Entscheidung von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) mit sofortiger Wirkung wieder aufgenommen werden. Schily hob damit am Freitag den nach dem Tod eines Sudanesen vor einem Monat verhängten Abschiebestopp wieder auf. Nach seinen Angaben wurde das Vorgehen des Bundesgrenzschutzes (BGS) bei Abschiebungen neu geregelt. Diese Regelungen zielen darauf ab, die hohe physische und psychische Belastung des Ausländers bei einer gewaltsamen Abschiebung stärker zu berücksichtigen. Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl nannte die Entscheidung dennoch "äußerst problematisch".

Schily hatte die Abschiebungen von Ausländern ausgesetzt, bei denen mit gewaltsamer Gegenwehr zu rechnen ist. Er reagierte damit auf den Fall des 30jährigen Sudanesen, der im Flugzeug starb, nachdem ihm von BGS-Beamten ein Helm aufgesetzt und er "durch Nach-unten-Drücken fixiert" worden war. Seine Todesursache ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main weiterhin ungeklärt. Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt sagte, Schily habe mit seiner Entscheidung nach dem Tod des Sudanesen richtig gehandelt und ein klares Signal gegen Fremdenfeindlichkeit gesetzt. Jetzt sei er anscheinend durch öffentlichen Druck weichgeklopft worden. Es sehe nach einem Kompromiß aus, um die unionsgeführten Bundesländer ruhig zu stellen. Ein solch gravierender Vorfall hätte im Menschenrechts- und im Innenausschuß des Bundestages abschließend behandelt werden müssen.

Nach den Vorgaben des Bundesinnenministeriums ist bei Abschiebungen künftig "unbedingt darauf zu achten, daß die freie Atmung des Rückzuführenden gewährleistet ist." Ab sofort werde auf die Verwendung von sogenannten Integralhelmen verzichtet. Bei der Anwendung körperlicher Gewalt sei dafür zu sorgen, daß "eine unbeeinträchtigte Atmung" gewährleistet sei. Ein "unverzichtbarer Bestandteil für die Rückführung" sei zudem die umfassende Unterrichtung des BGS durch die Länder über "Gewaltbereitschaft, Suizidgefährdung, gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Vorschädigungen" des betroffenen Ausländers. Bei Anhaltspunkten für Gewaltbereitschaft oder Suizidgefährdungen sollten die Landesbehörden eine ärztliche Untersuchung anordnen.

Burkhardt kritisierte, daß lediglich das Verbot des Integralhelmes eine erkennbare Änderung darstelle. Alle andere Vorgaben seien eigentlich selbstverständlich.

(AFP)