LAUSITZER RUNDSCHAU, 26.6.99

Kurdenfamilie droht Abschiebung
Nach Kirchenasyl in Athenstedt ist vierköpfige Familie in der Umgebung untergetaucht 

Von DIETER KUNZE, ADN
Das Telefon bei Pfarrer Hartmut Barsnick klingelt ununterbrochen. Viele Menschen erkundigen sich nach der Lage der kurdischen Familie Genc, die seit sechs Monaten in Athenstedt bei Halberstadt Kirchenasyl gefunden hat. Ihre Lage wird immer kritischer. Am Donnerstag tauchte erstmals die Polizei am Pfarrhaus auf. Die Mutter, Gurbet Genc, und ihre drei Kinder sollen nach Salzgitter in Niedersachsen zurückgebracht werden, wo ihnen die sofortige Abschiebung in die Türkei droht. Jetzt haben die 31jährige Frau und ihre Kinder Salina (14), Hassan (13) und Irem (1) das schützende Pfarrhaus verlassen und sind vorerst in der Umgebung untergetaucht. Das zehrt an den Nerven.

Die evangelische Kirche der kleinen Gemeinde ist für den Daueraufenthalt der Familie nicht geeignet. Auch im Pfarrhaus wurde es nach dem Besuch der Abschiebebeamten zu unsicher. Die Polizei war nach einem Amtshilfeersuchen der Ausländerbehörde von Salzgitter gekommen. Dort hatte die Familie, die bereits 1988 nach Deutschland gekommen war, mehrere Jahre gelebt.

Wegen drohender Ausweisung waren die Genc im vergangenen Jahr bereits nach Holland gereist. Doch wegen der europäischen Asylgesetzgebung gab es von dort eine Ausweisung in das erste Ankunftsland ­ Deutschland.

Lebenszeichen fehltWeihnachten 1998 baten sie schließlich bei Pfarrer Barsnick um Kirchenasyl. Im vergangenen Jahr waren Vater Sadik und Sohn Zeki in die Türkei abgeschoben worden. Gleich nach der Landung in Istanbul wurde der Vater verhaftet. Seit zwei Monaten fehlt jedes Lebenszeichen von ihm. Sohn Zeki ist bei einer Tante in der Mitteltürkei untergekommen.

Ihre ganze Hoffnung richten Familie Genc und Pfarrer Barsnick jetzt auf einen Asylfolgeantrag, der in dieser Woche bei der Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Asylbewerber in Braunschweig eingereicht wurde. Darin wird die Verhaftung von Familienmitgliedern und die Bedrohung von Verwandten in der Türkei geschildert. Sollte das Verfahren aufgegriffen werden, will die Familie wieder nach Salzgitter zurück.

Doch im Moment sehen die Betroffenen ihr Heil nur in der Flucht. „Der Landkreis Halberstadt hat überreagiert“, sagt der Pfarrer. Ihm seien 60 Fälle von Kirchenasyl in Deutschland bekannt. Eine Aufenthaltsduldung sei gesetzlich möglich. Man benötige keine Sozialhilfe, freiwillige Spender sorgten für das Nötigste. Barsnick hält es für einen Skandal, daß deutsche Politiker die Verfolgung der Kurden in der Türkei nicht wahrnehmen wollen.

Seit zwei Jahren haben die Kinder der Familie Genc keine Schule besucht. Ein Antrag auf Schulbesuch im Landkreis Halberstadt blieb unbeantwortet. Dafür kam die schriftliche Aufforderung des Ordnungsamtes, den Landkreis sofort zu verlassen, ansonsten drohten Zwangsmaßnahmen. Zweimal hat Pfarrer Barsnick in der Halberstädter Ausländerbehörde seine Wünsche vorgebracht. „Sie fallen doch niemanden zu Last“, beteuerte er dort.

Aufenthalt illegalDoch Halberstadts Amtsleiter Heinrich Dhemant sieht das anders. Die Kurden hielten sich hier illegal auf. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge habe mit Fachleuten den Fall geprüft. Nach zwei Verfahren vor dem Verwaltungsgericht kam auch das niedersächsische Oberverwaltungsgericht zu keiner anderen Entscheidung als der Petitionsausschuß des Landtages in Hannover: Die Familie kann in Deutschland kein Asyl bekommen! Die vorgebrachten Asylgründe seien teilweise widersprüchlich. Auch Kirchenasyl sei rechtlich nicht begründet.