junge Welt 26.6.99
Freigekauft: Junge Devisenbringer leisten verkürzten Militärdienst
in der Türkei.
Von Selim Özdogan
Man könnte, um Wehrdienst und Kosten zu entkommen, auch die Variante wählen, sich in Deutschland einbürgern zu lassen, doch die Gründe, seine Staatsbürgerschaft nicht aufgeben zu wollen, sind ja vielfältig. So kommen viermal im Jahr - Januar, April, Juli, Oktober - türkische Männer aus aller Herren Länder, hauptsächlich Deutschland natürlich, für einen Monat nach Burdur, einer kleinen Stadt mit etwa 50 000 Einwohnern, knapp zwei Autostunden nörldich vom Touristenzentrum Antalya. Informationen über den einmonatigen Grundwehrdienst bekommt man von den türkischen Konsulaten in Deutschland kaum, also ist man auf Erzählungen von Bekannten angewiesen, wenn man genauer wissen will, was einen erwartet, oder aber man reist weitgehend unwissend in Burdur an. Die Kaserne ausfindig zu machen, ist noch die leichteste Übung, man muß nicht mal fragen, man folgt einfach diesem Strom junger Männer mit Taschen in den Händen und stellt sich schließlich in einer Schlange an. Sobald man am Ende der ersten Schlange irgendwelche Formalitäten erledigt hat, muß man sich in der nächsten anstellen, für noch ein wenig mehr Bürokratie. Die dritte Schlange bildet sich vor der Gepäckkontrolle. In der Kaserne unerlaubte Güter sind: Alkohol, Drogen, Lebensmittel, es sei denn in ungeöffneter Originalverpackung, Medikamente, Fotoapparate, Walkman, CD-Spieler, Radios, Handys, Kartenspiele, Backgammon, Gameboys, alles, was der Unterhaltung dienen könnte. Einziges erlaubtes elektrisches Gerät ist der Rasierer. Nach offenbar willkürlichen Gesichtspunkten werden auch Bücher gegen eine Quittung in Aufbewahrung genommen, »Unter dem Tagmond« von Keri Hulme ist in Ordnung, die Reimann-Tagebücher sind es nicht. Hinterher kriegen Männer mit zu langen Haaren den richtigen Schnitt verpaßt, nicht militärisch kurz, aber weit unter streichholzlang. Man wird ungefragt gegen Wundstarrkrampf und Hirnhautentzündung geimpft, schließlich bekommt man seine tarnfarbene Uniform ausgehändigt, auch nach einem willkürlichen Prinzip. Wenn die Hose zehn Numern zu groß ist und man niemand findet, der das umgekehrte Problem hat, ist eben Erfindungsreichtum gefragt. Bei der Vergabe der Stiefel wird glücklicherweise nicht so verfahren. Die nächsten sieben bis neun Tage bis zur Vereidigungszeremonie verbringt man mit einer Ausbildung und damit, sich an eine neue Definition von Disziplin zu gewöhnen. Disziplin bedeutet hier tägliches Rasieren, halbstundenlanges Stillstehen und vor allem bedingungslos gehorchen. Man kann sich Full Metall Jacket im Kino ansehen, aber sich bei 24 Grad der Ohnmacht nahe zu fühlen, weil man im Parker dasteht und der Befehl, ihn auszuziehen, nicht erteilt wurde, vermittelt einem noch mal ein anderes Bild. Zumal die Person, die befugt wäre, den Ausziehbefehl zu erteilen, gar nicht auffindbar ist. Wo der Verstand aufhört, dort fängt das Militär an, sagt man in der Türkei. Doch es gibt keine Schikanen, keine Schimpfworte oder gar harte Bestrafungen bei Mißachtung der Befehle. Man ist der Devisenbringer, man wird gut behandelt, zumindest viel besser als ein regulärer Wehrdienstleistender. Ausbildung bedeutet in den ersten Tagen: »Stillgestanden!« »Links um!« »Rechts um!« »Im Gleichschritt marsch!« Was alles schon schwer genug ist, wenn man eine Einheit von fast 230 Leuten synchron bewegen will. Nach der Vereidigungszeremonie, bei der man den Schwur leistet, sein Leben bei Bedarf für sein Vaterland zu opfern, folgt eine andere Art der Ausbildung. Unterricht in der Geschichte der Turkvölker, Landeskunde, Vorlesungen von Gastreferenten über die politische und geopolitische Lage der Türkei, über Terrorismus und dessen Bekämpfung, über Demokratie, Menschenrechte, Tourismus, Staatsbürgerschaftsrecht und islamischen Fundamentalismus. Es werden auch Informationen vermittelt, aber grundsätzlich sind es reine Propagandaveranstaltungen, jeden Vormittag, Nachmittag und zwei-, dreimal die Woche auch abends, Veranstaltungen gegen die PKK, gegen die Islamisten, gegen die Kräfte, die versuchen, das Land von innen zu schwächen. Für einen nicht-rassistischen Nationalismus, der sich auf die Worte Atatürks, des Gründervaters der Türkei, beruft: »Glücklich der, der sagt: Ich bin ein Türke.« Es reicht, dies zu sagen, um einer zu sein, es reicht, sich zugehörig zu fühlen. Türke zu sein ist nicht ethnienabhängig und somit kein ausgrenzendes Konzept. Man kann stolz drauf sein, ohne daß man Gefahr liefe, Rassist zu sein. Aber Armenier werden schon gewalttätig geboren, wie ein Dozent zu berichten wußte. Überhaupt, die Armenier, die Kurden, die Griechen, die Irakis, all die außenpolitischen und innenpolitischen Feinde, die Hand in Hand arbeiten, haben erheblich dazu beigetragen, daß die Türkei trotz günstigster Voraussetzungen immer noch keine Weltmacht ist. Aber nur noch zehn oder fünfzehn Jahre, und man wird sich mit Amerika und dem vereinten Europa messen können. Man könnte drüber lachen, aber es ist nicht mehr witzig, wenn man es dreimal täglich hört. Die jungen Männer werden als Kulturbotschafter ihres Landes verstanden, die in diesem einen Monat möglichst viel lernen sollen, um die Türkei bei Diskussionen im Ausland gut vertreten zu können, und der Gruppenzwang, der Nationalismus, die Unwissenheit, irgend etwas trägt dazu bei, daß all diese Vorträge von der großen Mehrheit begeistert beklatscht werden. Dabei waren die Redner meistens nicht mal zweitklassig, die routiniert vorgetragenen Verschwörungstheorien nicht sonderlich spannend. Doch es war eine interessante Erfahrung, einen Monat lang zu sehen, wie die Militärmaschine funktioniert, aufbauend auf Hierarchien und fraglos befolgten Befehlen. Einen Monat lang täglich den Beweis dessen zu erfahren, was man schon immer geahnt hatte: Es ist ein menschenverachtendes System, und es ist wohl überall auf der Welt das gleiche, nur die Details ändern sich. Es war ein Monat fast ganz abgeschnitten von jeglicher Unterhaltungsmöglichkeit,
man ist schließlich nicht zum Vergnügen da, ein Monat ohne Privatsphäre,
Alkohol, Frauen und Musik. Der langweiligste Monat meines Lebens.
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