Stuttgarter Zeitung, 26.6.99
Mehmets Buch kratzt am Image der türkischen Armee Gericht verbietet Band mit den Erinnerungen von Kriegsveteranen - Soldaten schildern ihre Traumata im Kampf gegen die PKK Drei Monate lang hat ein Buch über die Kriegserlebnisse türkischer Soldaten für Aufsehen in der Türkei gesorgt. Jetzt hat ein Gericht in Istanbul die Beschlagnahme angeordnet mit der Begründung, das Buch beschimpfe die Streitkräfte. Von Astrid Frefel, Istanbul Erstmals hatten türkische Soldaten in einem Buch ihre Erlebnisse im Kampf gegen die kurdischen Rebellen der PKK geschildert. Lange Zeit war das Thema tabu, und die Beschlagnahme des Buches bestätigt die Empfindlichkeit der Militärs und Justiz. ¸¸Der größte Soldat ist unser Soldat!'' Mit diesem Schlachtruf und wehenden türkischen Fahnen lärmen sie durch die Straßen, die jungen türkischen Soldaten, bevor sie ihren 18monatigen obligatorischen Militärdienst antreten. Doch dann wird es ruhig um sie. Wer immer mit ihnen zu sprechen versucht, zum Beispiel auf dem Flug von Istanbul nach Diyarbakir, stößt auf eine Mauer des Schweigens. Über ihre Erlebnisse, ihre Ängste und ihre Probleme reden sie mit niemandem, meist nicht einmal mit ihren engsten Angehörigen. Nur wenn sie den Heldentod sterben, bekommen sie als ¸¸Märtyrer'' ein Begräbnis, an dem die Öffentlichkeit regen Anteil nimmt. Die Armee ist die mit Abstand angesehenste Institution in diesem Land. Und dann kam im April diesen Jahres ¸¸Mehmets Buch'' heraus. ¸¸Der Tod ist nur zwei Zentimeter über dir. Wenn du deinen Kopf nur zwei Zentimeter aus der Deckung hebst, kann dich die Kugel treffen.'' Das waren Ahmets erste Worte. Dann sprach der 25jährige Reserveoffizier drei Stunden ohne Unterbrechung über seine traumatischen Erlebnisse im Krieg im kurdischen Südosten. ¸¸Ich hasse das alles'', schloß Ahmet. Das war 1994 im Büro der Journalistin Nadire Mater und für Nadire der Anstoß, ein Buch über die ¸¸Mehmetciks'' zu schreiben. ¸¸Kleiner Mehmet'', so nennt der türkische Volksmund den einfachen Soldaten. 1998 verwirklichte sie ihr Projekt, das Buch erschien unter dem Titel ¸¸Mehmedin Kitabi'' - Mehmets Buch. 2,5 Millionen junge türkische Soldaten haben seit 1984 den Krieg gegen die PKK mitgemacht, schätzt Nadire. Das heißt, sie sind in der Gesellschaft überall anzutreffen. Und unter dem Schutz der Anonymität waren sie bereit, ihr zu erzählen. Eine Biographie in Stichworten hilft den Erzähler einzuordnen. Die Autorin wollte einen Querschnitt durch die türkische Bevölkerung zeigen. Alle Kriegsjahrgänge seit 1984, Landesteile, Ethnien, Religionen und politischen Strömungen sollten vertreten sein. Aufgrund dieser Kriterien hat die Autorin 44 Veteranen angefragt; nur zwei lehnten ab. Oft hatte sie den Eindruck, die Soldaten warteten auf eine Gelegenheit, um endlich reden zu können. Und sie hörte den Vorwurf: ¸¸Warum kommst du erst jetzt!'' Nach wenigen Wochen kam bereits die dritte Auflage in die Buchhandlungen. Das Buch habe wie eine Mine gewirkt, sagt Nadire. Die großen türkischen Blätter veröffentlichten Rezensionen. Wobei sie in der Regel das Buch für sich sprechen ließen und einfach Zitate abdruckten. Die Tatsache, daß das Thema aufgegriffen wird, obwohl die Berichte dem Glorienschein der Armee schaden, stieß durchweg auf Zustimmung. Die Sensibilisierung durch den Prozeß gegen PKK-Chef Öcalan habe dem Buch gutgetan, findet Nadire. Der Metis-Verlag habe der Weltliteratur ein Geschenk gemacht, befand etwa die liberale Tageszeitung ¸¸Radikal''. Ein deutsches Verlagshaus hat bereits Interesse bekundet, eine Übersetzung herauszubringen. Viele Türken versuchen, diesen Krieg und seine Folgen zu verdrängen. Auch die Autorin, obwohl sie oft in das Kriegsgebiet reist, war erschüttert darüber, was sie von den Veteranen zu hören bekam. Die 42 Zeugen des ¸¸Low-intensity war'', wie der Krieg im Militärjargon heißt, sprechen über ihre Zeit vor, während und nach dem Einsatz. Wie ein roter Faden zieht sich das Unverständnis für den Krieg durch das Buch. ¸¸Inzwischen sind 15 Jahre vergangen, aber es gibt keine Nacht, in der ich mich nicht daran erinnere'', sagt ein Veteran. Ein anderer meint: ¸¸Ich bin hoffnungslos, das geht weiter im Osten. Es werden weitere junge Menschen sterben.'' Ein dritter Soldat bekennt, er habe sich immer gewundert: ¸¸Was bin ich nur für ein schlechter Mensch?'' Die Mehmets erzählen von der Brutalität unter den Soldaten,
vom Horror des Krieges, den Schwierigkeiten, mit ihren Traumatas umzugehen,
und davon, wie der Krieg aus ihnen andere Menschen gemacht hat. ¸¸Die
Gefallenen nennen wir Märtyrer, die Verwundeten Helden, aber welchen
Namen werden wir unseren verwirrten Kindern geben'', fragt ein Vater im
Schlußwort des Buches.
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