Pforzheiner Zeitung, 28.6. 99
Urteil im Öcalan-Prozeß soll morgen fallen Ankara (Reuters) - Im Hochverratsprozeß gegen den kurdischen Rebellenchef Abdullah Öcalan soll morgen auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali das Urteil gesprochen werden. Befindet ihn das Staatssicherheitsgericht schuldig, droht Öcalan die Hinrichtung durch den Strang. Die Kurdische Arbeiterpartei PKK hat für diesen Fall mit Gewalttaten gedroht. Öcalan erklärte, Tausende seiner Anhänger seien bereit, sich als Selbstmordattentäter für ihn in die Luft zu sprengen. Das Justizministerium ordnete nach einem Bericht der Zeitung "Sabah" verstärkte Sicherheitsmaßnahmen in Gefängnissen an, wo PKK-Kämpfer einsitzen. Die türkischen Medien berichteten heute nur zurückhaltend über das Ende des "Jahrhundertprozesses", wie das Verfahren bezeichnet wird. Öcalan werde die Gelegenheit zu einem "letzten Wort" erhalten, wenn das Gericht um 09.00 Uhr (MESZ) zusammenkomme, meldete "Sabah". Diese Äußerung kann sich hinziehen. Öcalan hat während des am 31. Mai eröffneten Prozesses bereits mehrere Stunden lang Erklärungen zu seiner Verteidigung abgegeben. Nach Öcalans Äußerung sollen das Urteil und die Verkündung des Strafmaßes folgen. Die Verteidigung hat die drei Richter aufgefordert, Öcalans gute Führung seit seiner Festnahme im Februar in Kenia strafmildernd anzurechnen und ihn lediglich zu lebenslanger Haft zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft macht Öcalan als türkischen Staatsfeind Nr.1 für den Tod von knapp 30.000 Menschen im Kampf der PKK für einen Kurdenstaat im Südosten der Türkei verantwortlich. Grundlage der Anklage ist Paragraph 125 des türkischen Strafgesetzbuches, der für einen Versuch der Abspaltung vom Staatsgebiet die Todesstrafe vorsieht. Zwar sind in der Türkei seit 1984 keine Hinrichtungen mehr vollzogen worden. Seit dem Erfolg der Nationalisten bei der Parlamentswahl im April gilt es jedoch als fraglich, ob das Parlament auch in Öcalans Fall eine Vollstreckung verhindern würde. Nach einem Todesurteil würde dieses zur Prüfung an das Berufungsgericht weitergereicht, danach müßte noch das Parlament der Hinrichtung zustimmen. Es gilt als sicher, daß sich Öcalans Anwälte außerdem mit einer Berufungsklage an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden würden. Öcalan hatte im Prozeß die Verantwortung für die Taten
der PKK übernommen. Er beschuldigte den türkischen Staat jedoch,
der PKK durch die Unterdrückung der kurdischen Sprache in der Schule
und im Fernsehen Zulauf verschafft zu haben. Dem Staat bot Öcalan
an, mit der PKK über eine Aufgabe zu verhandeln, sollte er verschont
werden. Die Türkei bezeichnet die PKK jedoch als terroristische Vereinigung,
mit der sie alle Verhandlungen ablehnt. Der türkische Geheimdienst
hatte Öcalan Mitte Februar aus Kenia verschleppt. Seither ist der
PKK-Chef auf Imrali inhaftiert.
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