Yahoo, 29. Juni 1999, 18:02 Uhr
Kurden reagieren schockiert, aber friedlich
Nach Todesurteil gegen PKK-Chef Öcalan - Kritik europäischer
Staaten an der Türkei - Ausschluß aus Europarat angedroht -
Kurdisches Exilparlament droht mit «Blutbad»
London/Paris (AP)
Schockiert, aber weitgehend friedlich haben am Dienstag Kurden in ganz
Europa auf das Todesurteil gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan reagiert.
Internationale Organisationen und mehrere europäische Staaten kritisierten
die Entscheidung teilweise scharf und drohten der Türkei ernste Konsequenzen
an. Deutschland, die Schweiz und Norwegen forderten die Türkei gemeinsam
mit dem Europarat auf, die Exekution Öcalans nicht zu vollzuziehen.
Der Präsident des Europaparlamentes, Jose Maria Gil-Robies, forderte
das türkische Parlament auf, die Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe
umzuwandeln. Der Leiter der deutschen Delegation in der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates, Wolfgang Behrendt, sagte bei einer Vollstreckung
des Urteils müßte der Europarat die Mitgliedschaft der Türkei
suspendieren. In einem solchen Fall sei auch ein Beitritt der Türkei
in die EU «völlig ausgeschlossen», sagte er in einem Interview
der «Berliner Zeitung». Die französische Regierung kritisierte
die Verurteilung Öcalans. Gegen die Todesstrafe zu sein, sei für
Frankreich und seine europäischen Partner eine Frage des Prinzips.
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, sprach von
einem besorgniserregenden Urteil. Gewisse Bereiche des Rechtsverfahrens
hätten nicht internationalen Standards entsprochen, erklärte
sie. Amnesty International appellierte an die türkische Regierung,
Öcalan unter keinen Umständen hinzurichten und wiederholte die
Forderung nach der Abschaffung der Todesstrafe. Die Türkei hat seit
1984 kein Todesurteil mehr vollstreckt. Ein Gericht verurteilte Öcalan
wegen Hochverrats und Separatismus. Seit Beginn des 15jährigen bewaffneten
Kampfs der PKK für eine Unabhängigkeit Kurdistans wurden rund
37.000 Menschen getötet, die meisten Kurden. Die PKK-Führung
forderte von der türkischen Regierung in Ankara, das Urteil zu korrigieren,
so lange noch Zeit dazu sei. Ein Sprecher erklärte: «Unser Präsident
wollte eine friedliche Lösung, wollte eine Lösung, die den Krieg
beendet.» Das selbsternannte kurdische Exilparlament warnte vor einem
«Blutbad», sollte der Vorsitzende der Kurdischen Arbeiterpartei
(PKK) exekutiert werden. Der Auslandssprecher Ali Yigit sagte, die Türkei
müsse dann teuer bezahlen. Der Präsident des Exilparlaments,
Yasar Kaya, bezeichnete die Gerichtsentscheidung gegen Öcalan als
Todesurteil gegen das kurdische Volk. Dies sei «ein Spiel mit dem
Feuer», erklärte Kaya in Brüssel. «Diejenigen, die
gegen den Frieden sind, müssen die Verantwortung für die Konsequenzen
dieser Entscheidung tragen.» 1.000 Kurden demonstrieren in Paris
Auch wenn die PKK erklärte, die Kurden würden das Urteil nicht
stillschweigend akzeptieren, blieben befürchtete Gewalttaten aus.
Bei den kurdischen Demonstrationen in ganz Europa war statt Haß und
Gewalt eher Trauer zu spüren. Viele Kurden wirkten schockiert und
weinten. «Er ist mein Vater, meine Mutter, meine Zukunft, mein ganzes
Leben», sagte ein kurdischer Demonstrant in Amsterdam über Öcalan.
Auf dem Pariser Concorde-Platz protestierten etwa 1.000 Menschen friedlich
gegen das Urteil von Imrali, in Straßburg waren es rund 500. In Nikosia
in Zypern demonstrierten rund 200 Kurden vor der US-Botschaft. Einige warfen
Steine auf das von der Polizei mit Stacheldraht gesicherte Gebäude.
Viele Kurden sind der Ansicht, daß die USA bei der Entführung
Öcalans aus Kenia die Hand mit im Spiel hatte.
|