Aachener Zeitung, 2.7.99
«Was Kosovaren erlitten, ist in Kurdistan seit 15 Jahren Alltag»:
Würselen. «Wir warten jede Minute auf Frieden in Kurdistan.» Seit knapp zwei Wochen leben wieder zehn Kurden im Kirchenasyl in der Pfarre St. Sebastian. Doch mit ihren Gedanken sind die Flüchtlinge immer in ihrer Heimat. Anderthalb Jahre lang wandert die Gruppe schon, «immer mit dem Koffer von einer Kirche zur anderen», wie Hüseyin Calhan erzählt. Und auch auf ihrer jetzigen Station sieht ihr Leben nicht viel anders aus: «Wir sitzen und hoffen», resümiert Fatma Campinari knapp den Tagesablauf im Wanderkirchenasyl. Der kleine Saal des Jugendheims von St. Sebastian wurde zum Schlafsaal umfunktioniert. Stellwände sorgen für ein Minimum an Privatsphäre. Geschlafen wird auf Matratzen auf dem Fußboden. Sieben Männer und eine Frau mit ihren beiden kleinen Kindern haben Zuflucht in St. Sebastian gefunden. Einige sind vor dem türkischen Wehrdienst geflohen. Hüseyin Calhan aber hat den Militärdienst absolviert. Er erzählt von Diskriminierung und Folter wegen seiner kurdischen Abstammung und davon, wie seine Kameraden zum Einsatz in Kurdistan abgestellt wurden. Auch Mustafa Basilgan lebt im Würselener Kirchenasyl, während seine Frau im 400 Kilometer entfernten Aalen auf die Entscheidung in ihrem Asylverfahren wartet. Ihre Kinder bei der Oma in der Türkei kennen Mutter und Vater nicht. Den Nachmittag über sitzt die Gruppe im Foyer des Jugendheims. Fatma Campinari hat gerade ihrem dreijährigen Sohn Abidin die Haare geschnitten; im Hintergrund steht ein Bügelbrett. Jeden Tag kommt Kaplan Karl-Josef Pütz, um mit den Kurden über ihre Probleme zu reden. Manche von ihnen haben schon seit zweieinhalb Jahren keinen Kontakt mehr nach Kurdistan. Informationen bekommen sie nur aus der kurdischen Zeitung «Özgur Politika» (Freie Politik), die in Frankfurt erscheint. Auch der kurdische Fernsehsender C-TV aus Brüssel läuft immer im Hintergrund. Über dem Fernseher hängt eine Öcalan-Flagge. «Wir wollen Frieden, aber statt dessen haben wir ein Todesurteil für Öcalan bekommen», kommentiert Fatma Campinari die Ereignisse der letzten Tage. Von den westlichen Staaten fordern die Kurden eine härtere Linie gegenüber Menschrechtsverletzungen in der Türkei. Und: Was die Kosovaren in den letzten Monaten hätten ertragen müssen, sei in Kurdistan seit über 15 Jahren Alltag. Auf den Stationen des Wanderkirchenasyls veranstalten die kurdischen Flüchtlinge Informationsabende, so auch in Würselen. Die Reaktionen war durchweg positiv. «Manche Leute hatten erst Angst vor uns. Nachdem wir ihnen aber unsere Geschichte erzählt hatten, kamen sie jeden Abend», freut sich Hüseyin Havaytli. Erik Albrecht
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