Süddeutsche Zeitung 7.7.99

Ein junger Deutscher als Kämpfer bei der PKK "Ich wollte den Krieg sehen"
Jörg Ulrich schloß sich Öcalans Guerilla-Truppe an, doch ins türkische Kurdengebiet ist er nie gelangt - seit 18 Monaten sitzt er im Nordirak in Haft


Von Chris Kutschera Dahuk, im Juli - Im Januar 1998 ist Jörg Ulrich im Norden des Iraks von Rebellen der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK) gefangengenommen worden. Zusammen mit Kämpfern der türkisch-kurdischen PKK hatte der 29jährige Deutsche aus Peine versucht, durch den irakischen Teil Kurdistans in den türkischen zu gelangen. Bei einem Gefecht mit türkischen Truppen und der mit der PKK verfeindeten DPK wurde er verwundet und geriet in Gefangenschaft. Die vergangenen 18 Monate hat er in einem Gefängnis in Dahuk verbracht, einer Stadt im nordirakischen Kurdengebiet. Die DPK ist offenbar bereit, ihn freizulassen. Aber über die Türkei kann Ulrich nicht nach Deutschland zurückkehren - er würde verhaftet werden. Auch der Weg durch Syrien ist ihm versperrt - vor Jahren hat er seinen deutschen Paß zerstört. Jörg Ulrich ist bleich und abgemagert, aber er sieht gesund aus. Die DPK vermutet, daß er in Deutschland einer linksextremen Gruppe angehört hat. Aber zu den Einzelheiten seines politischen Hintergrunds will sich der junge Mann nicht äußern. Er gibt jedoch zu, in Deutschland in der "anti-faschistischen" Szene aktiv gewesen zu sein. Der Kurden-Konflikt habe ihn interessiert, sagt er, aber er habe keinen Kontakt zu kurdischen Gruppen gehabt - bis im Juli 1994 ein junger Kurde in Hannover bei Plakatekleben von der Polizei erschossen wurde. Erst bei den anschließenden Protestdemonstrationen knüpfte Ulrich Kontakte zu kurdischen Organisationen. Es sei kein plötzlicher Entschluß gewesen, in der PKK zu kämpfen, sagt Ulrich. "Sowas passiert langsam. Man lernt die Partei Stück für Stück besser kennen, und irgendwann sagt man: Ich will es tun. Und ich habe es getan." Er habe lange Diskussionen mit PKK-Mitgliedern gehabt, erzählt Ulrich. Sie hätten ihn gewarnt, daß sein Vorhaben schwierig sei, daß Kurdistan eine andere Kultur sei, eine andere Welt und daß er sich die Sache gut überlegen solle. "Ich habe ungefähr ein Jahr lang nachgedacht, dann haben sie zugestimmt." Wenn man Ulrich fragt, wie er aus einem Sympathisanten einer Freiheitsbewegung zum aktiven Kämpfer geworden ist, sagt er: "Man muß sich die Parteinahme Deutschlands gegen die Kurden anschauen - und die deutsche Geschichte . . ." "Die PKK kämpft nicht nur für Kurden", behauptet Ulrich. "Die PKK ist eine sozialistische Bewegung, die gegen den Imperialismus kämpft. In der PKK kämpfe ich auch für mein Volk und für die Zukunft meines Landes." Im Mai 1997 flog Ulrich von Deutschland nach Syrien. Dort sollte er militärisch und politisch geschult werden. Er wurde in einem PKK-Lager untergebracht, wo er Türkisch lernte. Der damals noch in Syrien residierende, mittlerweile gefaßte und von der Türkei zum Tode verurteilte PKK-Chef Abdullah Öcalan sei "zwei oder drei Mal pro Woche" in das Lager gekommen. "Ich konnte einen Teil seiner Reden verstehen, Kurden aus Deutschland übersetzten den Rest für mich", sagt Ulrich. Über das militärische Training will er nicht sprechen. Irgendwann Ende 1997 überquerten Ulrich und etwa 20 andere PKK-Kämpfer bei Nacht den Tigris, die Grenze zwischen Syrien und dem Irak. Sie wollten in den Nordirak, in die bergige, kurdisch besiedelte Grenzregion zur Türkei. Dort sollte die Gruppe weiter militärisch ausgebildet werden, um im folgenden Frühjahr dann in die Türkei zu gehen. "Ich wollte den Krieg sehen", sagt Ulrich. "Ich war da, um zu kämpfen." Nach der Überquerung des Tigris schlug die Gruppe ein Lager in der Nähe des Flusses auf. Einige Tage später wurde ihnen gesagt, der Weg in den Norden sei frei. Die Gruppe marschierte los - kurze Zeit später wurden die PKK-Kämpfer nach einem Gefecht mit türkischem Militär und den irakisch-kurdischen DPK-Rebellen gefangengenommen. Vier Mitglieder der PKK-Gruppe wurden getötet, einige entkamen, 15 wurden gefaßt. "Da war ein Stützpunkt mit DPK-Kämpfern, türkischen Soldaten und Panzern. Wir gerieten in einen Hinterhalt", erzählt Ulrich. "Wir sahen den Posten und zogen uns zurück. Aber die Panzer schossen auf uns, ein paar Leute wurden verwundet. Ich bekam eine Kugel in die Brust. Mit den Verwundeten konnten wir uns nicht schnell zurückziehen. Am nächsten Morgen gab es noch eine Schießerei. Dann wurden wir gefangengenommen." Die Türken wollten die Gefangenen in die Türkei überführen, die irakischen Kurden lehnten dies ab. Ulrich verbrachte mehrere Wochen in einem Lazarett, dann wurde er nach Erbil gebracht, in die "Hauptstadt" der selbstverwalteten Kurden-Region im Norden Iraks. Dort wurde er drei Monate lang von der DPK verhört. "Sie versuchen herauszufinden, wer ich bin und was ich dort wollte." Dann wurde Ulrich zum Rest seiner Gruppe ins Gefängnis nach Dahuk zurückgeschickt. In der großen Zelle leben 20 Menschen. Es gibt keine Betten, die Häftlinge schlafen auf Matten auf dem Boden. Sie bekommen etwas Seife, Zahnpasta und Waschpulver für ihre Kleidung. Das Essen sei eintönig, klagt Ulrich. Am Morgen bekommen sie Brot und etwas Suppe; mittags gibt es Reis - jeden Tag. Zum Abendessen gibt es manchmal Fleisch, Nudeln und wieder Brot; dazu Tee und ein bißchen Tabak. "Wir haben keine Bücher und nur ein sehr schlechtes Radio", sagt Ulrich. "Briefe bekommen wir über das Internationale Rote Kreuz." Es gibt eine kalte Dusche, und zweimal pro Woche dürfen die Gefangenen für eine halbe Stunde ins Freie.

"Du zahlst den Preis" Um beschäftigt zu sein, lernt Ulrich Türkisch. Mit seinen Mithäftlingen diskutiert er über den Prozeß gegen Abdullah Öcalan und den Krieg in Kurdistan. "Es ist ein dreckiger Krieg", sagt er, "15 Jahre sind genug. Früher hat niemand darüber gesprochen, jetzt schaut die ganze Welt hin. Es ist Zeit für eine Lösung. Die Türken haben einen Fehler gemacht, als sie dachten, mit der Festnahme und der Verurteilung von Öcalan sei die PKK am Ende. Das ist falsch." Ob er einen Fehler gemacht hat, als er zur PKK ging? "Das ist eine schwierige Frage", sagt Ulrich. " Du triffst eine Entscheidung, und du zahlst den Preis. Ich will wieder zurück nach Deutschland." Einen deutschen Konsul hat Ulrich nie zu Gesicht bekommen - im Norden Iraks gibt es keine diplomatischen Vertreter der Bundesrepublik. Wenn er seine kurdischen Wächter fragt, was mit ihm passieren werde, sagen sie: "Vielleicht klappt es, wir suchen einen Weg, um dich heimzuschicken." Seiner Familie will Jörg Ulrich nichts mitteilen: "Nein. Ich werde versuchen, sie anzurufen. Nein, ich habe keine Nachricht für sie."

Chris Kutschera arbeitet als Journalist in Frankreich. Über den Kurden-Konflikt hat er 1997 ein Buch geschrieben.