Kölner Stadtanzeiger, 8.7.99 Totenwache für ermordeten Kurden Von Stefan Krücken und Brian Schneider Angst liegt über den Stadtteilen Gremberg und Kalk. Angst und Wut zeichnen die Gesichter der Menschen, die sich zum Gedenken an das Mordopfer auf der Taunusstraße versammelt haben. Im Haus mit der Nummer 12 b, im Büro des türkischen "Arbeiter- und Jugendkulturvereins" (AGIF), liegt der Leichnam Erol Ispirs. Rote Nelken schmücken den aufgebahrten Sarg, dahinter hängt ein Transparent, das eine lodernde Flamme zeigt. Ein junger Mann und eine junge Frau, beide mit roten T-Shirts und schwarzen Westen bekleidet, halten Totenwache neben zwei roten Flaggen. Im Halbdunkeln schreibt das Licht etlicher Teelichter den Namen des Toten auf den Boden. Heiser skandiert die Menge vor der Tür: "Hoch die Internationale Solidarität." Rund 500 Menschen stehen in einem Halbkreis vor dem Lokal. Zehn Kränze liegen dort, Kerzen brennen. Die meisten in der Trauergemeinde tragen ein Bild Ispirs als Anhänger an ihrer Kleidung. Einige weinen. Beifall ertönt, wenn jemand von dem toten Freund spricht. Beifall ertönt, wenn sich die Stimme des Redners vor Wut überschlägt: "Türkische Faschisten haben Erol getötet, und es hätte jeden von uns treffen können." Stunden zuvor bestätigte die Kölner Polizei, daß die Tatverdächtigen einer politischen Organisation angehören. Dafür gebe es gesicherte Erkenntnisse, sagte ein Beamter. Die Frage, ob die Männer den rechtsextremistischen "Grauen Wölfen" angehören, ließ Oberstaatsanwalt Bernhard Jansen unkommentiert: "Das kann ich nicht bejahen, ich dementiere es aber auch nicht." Für die Teilnehmer der Trauerkundgebung steht indes schon fest, wer die Mörder von Erol Ispir sind. Wieder und wieder hallt der Ruf "Tod den Faschisten" durch die enge Straße. Am Rande der Menge sind Jugendliche zu sehen, die rote Stirnbänder mit einem gelben Stern tragen. In einer Ecke an einer Hausfassade liegen Pflasterscheine, griffbereit aufeinander gestapelt. "Ich traue mich nicht, nachts auf die Straße zu gehen", sagt ein älterer Anwohner. Seinen Namen mag er nicht nennen, wie niemand, mit dem man auf der Taunusstraße spricht. Unweit der Kundgebung, nur zwei Straßen entfernt, entlud sich die beklemmende Atmosphäre eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn der Feier in Gewalt. Männer stürmten ein Bistro in der Robertstraße, das im Viertel als Treffpunkt rechtsextremer Türken gilt. Wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" aus Behördenkreisen erfuhr, sollen sich die Mörder vor der Tat hier Mut angetrunken haben. Die Männer zerschlugen Scheiben von Fenstern und Tür, verwüsteten die Einrichtung. Zurück lassen sie gelbe Flugblätter, auf denen die rechtsextremen "Grauen Wölfe" des Mordes beschuldigt werden. Zwischen einer Kaffeelache, Glasscherben und einem umgeworfenen Hocker sitzt ein alter Mann an einem Tisch. Mit zitternder Hand zeigt er auf die türkische Fahne an der Wand: "Sie müssen mich erst umbringen, bevor sie die herunter holen", schreit er. Junge Männer kommen hinzu, muskulös, finster-blickend, gereizt. "Das geht so nicht weiter", sagt ein junger Mann mit schneidender Stimme, die anderen nicken. Jemand sagt, er sei mehrfach in seinem Auto auf der Taunusstraße angepöbelt worden. Erst gestern seien fünf Jugendliche ("unsere Brüder und Cousins") zusammengeschlagen worden. Ein Sprecher der "AGIF", die sich später in einem Flugblatt von dem Überfall auf das Bistro distanziert, berichtet hingegen von Provokationen "türkischer Faschisten" aus langsam am Lokal vorbei rollenden Wagen. Erst gestern hätten acht Jugendliche versucht, eine Schlägerei zu provozieren, seien zum Gehen gezwungen worden und hätten daraufhin mit Schreckschußpistolen geschossen. Zwischen den beiden vermeintlichen Wahrheiten liegen wenige hundert Meter Luftlinie. Einig sind sich beide Parteien nur in einem: in ihren Vorwürfen an die Polizei. "Die Ermittler sind auf dem rechten Auge blind", klagt ein Sprecher der AGIF. "Die Polizei schützt uns nicht genug", monieren die Besucher des Bistros an der Robertstraße. "Wir sind auf weitere Zwischenfälle vorbereitet", sagt Behördensprecher Klaus Liedert. Mit Mannschaftswagen zeigt die Polizei in den Straßen Präsenz. Bis in die Abendstunden, als der Leichnam Erol Ispirs von einem Autokorso aus 40 Wagen zum Flughafen transportiert wird - er soll heute in seiner Heimatstadt Elbistan eintreffen - bleibt es ruhig. "Die Frage ist nur, was passiert, wenn wir hier weg sind", sagt ein Beamter. "Das ist ein Pulverfaß." |