junge Welt 8.7.99 Türkischer Wirtschaftsminister unternahm nach Verschiebung von IWF-Protokollen Selbtsmordversuch Der für Wirtschaftsfragen zuständige Staatsminister von der Partei der Demokratischen Linken (DSP), Hikmet Ulugbay, unternahm in der Nacht zum Mittwoch einen Selbstmordversuch, nachdem sein Name in Verbindung mit einem Börsenskandal genannt worden war. Nach Informationen der behandelnden Ärzte ist der durch zwei Kopfschüsse schwerverletzte Minister außer Lebensgefahr. Ulugbay führte als Vertreter seiner Regierung die Verhandlungen mit den Internationalen Währungsfonds (IWF). Erst zu Wochenbeginn erklärte der Chef der Mutterlandspartei (ANAP), Mesut Yilmaz, wichtige Dokumente und Protokolle der Verhandlungen von Ulugbay erhalten zu haben. Yilmaz wiederum wird vorgeworfen, die besagten Dokumente an Börsenmakler weitergegeben zu haben, die mit diesen Insiderinformationen an der Börse spekulierten und innerhalb weniger Tage Gewinne in Höhe von umgerechnet fünf Milliarden US-Dollar erzielten. Nach Presseberichten ist der Hauptnutznießer der Spekulationsgeschäfte eine Maklerfirma, die einem Neffen von Yilmaz' gehört. Ende letzten Monats hatte sich das Handelsvolumen an der Istanbuler Börse innerhalb von drei Tagen um das Dreifache erhöht. Vertreter der Regierung, die in Erklärungsnot geraten waren, hatten als Grund dafür einen Übersetzungsfehler in Bezug auf eine Erklärung des IWF- Vertreters angegeben. Danach stünde der türkischen Währung im Rahmen eines Konsolidierungsprogramms eine erhebliche Entwertung bevor. Trotz anderslautender Erklärungen seitens der Regierung entstand der türkischen Wirtschaft ein Schaden von über fünf Milliarden Dollar. Der türkische Regierungschef und DSP-Vorsitzende Bülent Ecevit widersprach den Vorwürfen, Ulugbay sei an dem Börsenskandal beteiligt. Ecevit lobte Ulugbays Verhandlungsführung als erfolgreich und erklärte den Selbstmordversuch mit den Worten, der Minister sei infolge seines hohen Arbeitspensums unter Streß und in eine psychisch labile Lage geraten. Auch Yilmaz, dessen Partei ebenfalls Koalitionspartner in Ankara ist, wies die Schuldzuweisung von sich. Allerdings war der Ex-Ministerpräsident auch zu seiner Amtszeit wegen mehrerer Korruptionsvorwürfe unter Druck geraten. |