jw, 9.7. Gedächtnisschwund der Grünen Bis 1998 den Einsatz deutscher Waffen im Kampf gegen Kurden beklagt, heute »keine Erkenntnisse« mehr Zu der Voranfrage deutscher Rüstungsfirmen für eine geplante Panzerlieferung an die Türkei hatten die Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Winfried Wolf und die PDS-Fraktion am 27. Januar eine kleine Anfrage an die neue Bundesregierung gerichtet. Anfang März antwortete das Auswärtige Amt. Die Reaktion unterschied sich in Inhalt und Duktus in keiner Weise von den Antworten der Vorgängerregierung. Was zu Oppositionszeiten bitter beklagt und immer wieder der alten Bundesregierung vorgehalten wurde, der Einsatz deutscher Waffen im kurdischen Kriegsgebiet, wurde in wahrhaftiger »Kontinuität deutscher Außenpolitik« dreist abgestritten. Auf die Frage: »Wie bewertet die Bundesregierung den Einsatz deutscher Waffen durch das türkische Militär gegen die kurdische Zivilbevölkerung und bei grenzüberschreitenden Operationen in der Vergangenheit?« antwortete die neue Regierung: »Die Bundesregierung verfügt über keine Erkenntnisse, daß aus Deutschland gelieferte Waffen von den türkischen Streitkräften gegen die kurdische Zivilbevölkerung oder bei grenzüberschreitenden Operationen eingesetzt werden. Sie ist in der Vergangenheit allen Hinweisen auf einen vermuteten Einsatz durch die Türkei entgegen vertraglichen Zusicherungen oder Endverbleibszusagen sehr sorgfältig nachgegangen. Bisher konnte in keinem Fall ein Beweis für einen Verstoß gegen eingegangene Verpflichtungen erbracht werden«. Offensichtlich hatte Staatssekretär Dr. von Ploetz da weitergemacht, wo er zuletzt aufgehört hatte: Unter der Kohl- Kinkel-Regierung war es in dieser Frage zu einer routinierten Übung geworden, die Öffentlichkeit mit der nicht haltbaren Standardformulierung »Es liegen diesbezüglich keine Erkenntnisse vor« zu täuschen. Daß die neue Regierung mit dieser Leugnung einer durch unzählige Zeugenaussagen, Filmdokumente und Fotos belegten Tatsache weitermacht, ist kurios, weil in der Vergangenheit Parlamentarier der jetzt regierenden Parteien nicht mit deutlichen Kommentaren sparten. So fragte sich der SPD- Bundestagsabgeordnete Hans Kolbow einst angesichts der Tatsache, daß das Vorgehen türkischer Streitkräfte gegen die kurdische Bevölkerung unter Einsatz deutscher Waffen fast täglich für Schlagzeilen sorgte: »Ist die Bundesregierung«, gemeint war die Kohl-Regierung, »blind und taub oder lügt sie einfach nur?« Für die jetzige Regierungspartei Bündnis90/Die Grünen waren die Waffenlieferungen aus der Bundesrepublik - die zeitweise nach der Überlassung der NVA-Waffen einer nahezu kompletten Armeeausstattung gleichkamen und Deutschland zum führenden Waffenlieferanten des NATO-Partners machten - und der vertragswidrige Einsatz dieser Waffen Grund genug, die Bundesregierung wegen Beihilfe zum Völkermord anzuklagen. So sagte die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, in einem Interview zu Oppositionszeiten klar: »Eine Wende deutscher Außenpolitik hätte spätestens mit dem Nachweis des Einsatzes deutscher wie auch anderer Waffen gegen die Zivilbevölkerung erfolgen müssen. Der Außenminister ist reif für den Rücktritt«. Heute äußert sie in Presseinterviews weit zaghafter, daß es »keine Kontinuität in der Politik gegenüber der Türkei« geben könne. Dies müsse auch »koalitionsintern« geklärt werden. Während solche Schlagzeilen wie »Ankara gibt den Einsatz deutscher Waffen gegen die Kurden zu« (FAZ 29.3.92), »Deutsche Granaten gegen Kurden / Britischer Bericht: Türken beschossen Sirnak mit deutschen Granaten« (taz 17.9.92), »NVA-Panzer überrollt Kurden« (FR 8.12.92) drastisch vor Augen führten, welche Konsequenzen die deutsche Türkei-Politik hat, verfügte noch jede Bundesregierung über »keine Erkenntnisse« zu einem vertragswidrigen Einsatz deutscher Waffen, der ein Rüstungsembargo als Konsequenz haben müßte. Die bundesweite Kampagne gegen Rüstungsexport, Wiesbaden, empfiehlt Außenminister Fischer, unter http://www.asrinhukuk.com/pictures/asker.html einen Blick zu »riskieren«: Das Istanbuler Rechtsanwaltsbüro hat dort Fotos eines türkischen Soldaten eingespeist, die einen aus deutschen Beständen gelieferten Panzer vom Typ MTW 113 zeigen, wie er ein kurdisches Dorf beschießt. Am 21./22. Juli könnte Fischer bei seiner geplanten Türkei- Reise seinen Gastgebern erklären, daß solche Bilder leider nur ein sofortiges Waffenembargo zur Folge haben können - da er sonst »reif für den Rücktritt« werde. Thomas Klein |