Der Europarat verschiebt sein Urteil über die Türkei Von Joachim Widmann Berlin Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat ihre Entscheidung über die Europatauglichkeit der Türkei um ein halbes Jahr auf den Januar 2000 verschoben. Das 1998 begonnene Prüfverfahren solle erst beendet werden, wenn der Fall Öcalan geklärt sei, sagte der deutsche Delegationsleiter in der Versammlung, der SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Behrendt, der WELT. Ursprünglich hatte der Europarat in diesem Sommer darüber entscheiden wollen, wie mit der Türkei weiter zu verfahren sei. Die Kernfrage ist laut Behrendt aber, ob das gegen den PKK-Chef gesprochene Todesurteil vollstreckt werde. Die Prüfung, das sogenannte Monitoring, war wegen fortgesetzter Verstöße der Türkei gegen die Europäische Menschenrechtskonvention begonnen worden, die gewissermaßen die Verfassung des Europarates ist. Die Parlamentarische Versammlung kann empfehlen, die Mitgliedschaft der Türkei im Europarat auszusetzen. Aus Rücksicht auf den Europarat hat die Türkei die Todesstrafe seit 1984 nicht mehr praktiziert. Bestrebungen, die Kapitalstrafe aus dem Strafgesetz zu streichen, sind jedoch bisher gescheitert. In den nächsten Monaten haben erneut ein Gericht, dann noch das Parlament und der Präsident über die Vollstreckung des Urteils gegen Öcalan zu entscheiden. Behrendt sieht in der Türkei Ansätze zum Wandel: Die kürzlich erfolgte Reform der Staatssicherheitsgerichte spreche dafür, ebenso die wiederauflebende Diskussion über die Abschaffung der Todesstrafe Premier Ecevit gilt als deren Gegner und die eben begonnene Prüfung der Haftbedingungen in den türkischen Gefängnissen. "Die Beobachter des Europarates haben auch befunden, daß der Öcalan-Prozeß generell ein relativ faires Verfahren war. Öcalan konnte sich verteidigen, auch wenn es Restriktionen gab und im Gerichtssaal eine sehr emotionale Stimmung herrschte", sagt Behrendt. "Meine Hoffnung, daß sich etwas ändert, nährt sich überdies aus Gesprächen mit türkischen Parlamentariern aller Couleur. Sie sind sich dessen bewußt, daß man von der Türkei eine kooperative Haltung erwartet." Behrendt begrüßt daher die Äußerungen des designierten EU-Kommissars Günter Verheugen (SPD), der die Zeit dafür gekommen sieht, der Türkei eine klare Perspektive für den Beitritt zur Europäischen Union zu geben: "Es kann keine diskriminatorische Sonderrolle für die Türkei geben. Sie muß eine faire Chance bekommen. Das setzt vor allem voraus, daß wirkungsvolle Schritte zur politischen Lösung des Kurdenproblems unternommen werden." Die Maßstäbe der EU für die Beitrittstauglichkeit der Türkei entsprechen denen, die der Europarat beim Monitoring des Landes anlegt, so Behrendt. Behrendt würde der Türkei keinen Beitrittstermin in die EU in Aussicht stellen. "Man sieht das dort mittlerweile realistisch", sagt er. Schließlich brauche das Land vor allem Zeit, um "kurdenpolitische Ansätze" zu entwickeln. Daß eine neue, unbefristete Beitrittsanwartschaft die Debatte über die Verwestlichung des Landes und die Gefahr der kulturellen Hegemonie Europas zwischen Nationalisten, Islamisten und Europhilen ad infinitum und letztlich fruchtlos anheizen könnte, glaubt Behrendt nicht: "Auch die Nationalisten sind um Mäßigung bemüht." nzz, 16.7. Die USA fordern Gespräche über Zypern Verteidigungsminister Cohen in der Türkei paz. Istanbul, 15. Juli Zum Abschluss seiner sechstägigen Europatournee hat der amerikanische Verteidigungsminister Cohen in Ankara klargemacht, dass die USA die gegenwärtige Situation auf Zypern als inakzeptabel betrachten und rasch Gespräche zwischen den türkischen und griechischen Führern der Insel wünschen. Allerdings hat Cohen dem türkischen Regierungschef Ecevit versichert, dass Washington weder auf Athen noch auf Ankara Druck ausüben werde. Cohen wiederholte in Ankara die Forderung der G-8, dass die Gespräche ohne Vorbedingungen aufgenommen werden. Dies dürfte bei den türkischzypriotischen Führern auf taube Ohren stossen, denn diese verlangen, zuerst als gleichwertiger Partner der Republik Zypern, das heisst als unabhängiger Staat, anerkannt zu werden. Diese Position wird von Ankara unterstützt. Abhängiges Nordzypern Cohens Besuch in Ankara am Donnerstag fand exakt 25 Jahre nach dem Putsch auf Zypern statt, der von griechischen Zyprioten zur Vereinigung der Insel mit Griechenland durchgeführt worden war. Dieser führte fünf Tage später zum Einmarsch türkischer Truppen und damit zur Teilung der Insel. Auch heute erhält Ankara eine Truppenpräsenz von 30 000 Mann aufrecht. Die nur von Ankara anerkannte «Türkische Republik Nordzyperns», die rund ein Drittel der Insel umfasst, ist wirtschaftlich und politisch fast vollständig von der Türkei abhängig. Am Mittwoch hatte Cohen auf dem Weg von Athen nach Ankara dem amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik im Südosten der Türkei einen Besuch abgestattet. Dieser Stützpunkt wird zur Überwachung der Flugverbotszonen im Irak benutzt. Bei dieser Gelegenheit unterstrich Cohen die in den Augen der USA fortbestehende Gefahr, die von Saddam Hussein ausgeht, und die wichtige Rolle der Türkei bei deren Eindämmung. Nur wenige Stunden vor Cohens Eintreffen hatten amerikanische Flugzeuge, die von Incirlik aus gestartet waren, in der Nähe von Mosul Luftabwehrstellungen bombardiert. Dabei wurden nach irakischen Angaben drei Personen verletzt. Kompensationen für Blockade verlangt Die Situation im Irak war auch ein Gesprächsthema zwischen Ecevit und Cohen am Donnerstag. Ecevit wies darauf hin, dass die Wirtschaftsblockade gegen Irak für die Türkei zu einem Einbruch des Handels mit dem Nachbarland geführt habe. Der bisher entstandene Schaden belaufe sich auf 30 Milliarden Dollar. Der türkische Ministerpräsident forderte dafür Kompensationen. |