junge Welt 16.7.99 Fischers Verantwortung »Es gibt strategische Konsequenzen aus diesem Konflikt (Kosovo) auch für die deutsche Außenpolitik.« Die zentrale Lehre sei, daß es für Deutschland »keine Begrenzung der Verantwortung« mehr gebe. Diese Schlußfolgerung zog Bundesaußenminister Joseph Fischer in einem Interview mit der »Frankfurter Rundschau« vom 10. Juli. Als geborener Opportunist immer lernfähig, hat Fischer treffsicher erkannt, was die eigentlichen Mächte in Deutschland und der NATO von ihm erwarten. Denn wenn man »Verantwortung« durch »Einmischung« ersetzt, dann wird der menschenrechtsduselige Schleier etwas gelüftet, der über die militärisch aggressivste Außenpolitik gebreitet wird, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges ausgerechnet unter einer rosa-grünen Regierung betrieben wird. Für deutsche militärische Einmischungen gibt es in der Tat keine geographischen Grenzen mehr. Mit den »Menschenrechten« kann Krieg heute mit Leichtigkeit überall gerechtfertigt werden. Wenn man will. Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel soll Fischer <Bild: Abbildung> einen Lagebericht seines Ministeriums über die Menschenrechtslage in der Türkei gestoppt haben, wonach Kurden, auch wenn sie nicht in oder im Umfeld der PKK tätig sind, »Willkür oder Folter« ausgesetzt sind. Nun rächt sich wieder einmal, daß Fischer im Rahmen seiner Forderung nach »Kontinuität« in der Außenpolitik die von Klaus Kinkel und Helmut Kohl eingesetzte Führungsmannschaft des Auswärtigen Amtes unbesehen übernommen hat. Auf Drängen der politischen Spitze seines Ministeriums, so »Der Spiegel«, habe Fischer beschlossen, brisante Lageberichte zukünftig ohne Wertung der Situation der Menschenrechte in befreundeten Problemstaaten zu verfassen. Die Definitionsgewalt über das, was als »schwere Mißachtung der Menschenrechte« gilt, liegt somit bei der Bundesregierung und der NATO. Sie bestimmen entsprechend der politischen Opportunität, wer Menschenrechtsverletzer ist und wer nicht. Die Türkei verletzt z. B. keine Menschenrechte. Deshalb bekommt sie von anderen NATO-Staaten, besonders aber von Deutschland, jede Menge Waffen geliefert. Desgleichen gilt z. B. für die indonesische Regierung, die im annektierten Ost-Timor trotz überzeugender Beweise des Gegenteils keinen Staatsterrorismus gegen die Bevölkerung ausübt. Nach dem neoliberalen Glaubensbekenntnis der NATO sind freie Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechte untrennbar miteinander verbunden. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Und da sich die Kurden in der Türkei des Menschenrechtes des freien Marktes, des freien Kapitalverkehrs und des freien Devisenmarktes und noch vieler solcher Freiheiten erfreuen können, ist das Land folglich eine Demokratie, in der es keine Menschenrechtsverletzungen gibt. Das trifft auch auf Indonesien und viele andere mit den USA und der NATO befreundete Länder zu. Sie fügen sich in die neue Weltordnung ein, im Unterschied zu »Iran und Serbien, die außerhalb dieses evolutionären Prozesses stehen«, wie Francis Fukuyama kürzlich in der »Los Angeles Times« schrieb. Iran und Serbien stehen der »liberalen, marktwirtschaftlichen Ordnung« im Weg, die »auf einer offensichtlichen naturgegebenen und göttlichen Wahrheit beruht.« Und deshalb müssen die Regierungen dieser Länder weg. Da die Öffentlichkeit in der heutigen Zeit zu aufgeklärt und mißtrauisch ist, fällt es den Regierungen der westlichen Länder schwer, mit klassischen Gründen, wie z. B. offenen Ansprüchen auf geostrategisch wichtige Länder und Märkte oder mit neokolonialer Gier nach Rohstoffen, die Notwendigkeit eines Angriffskrieges zu rechtfertigen. Andere Mittel zur Rechtfertigung neuer Kriege wurden gefunden. Demagogisch hat man sich eines der größten Erfolge der Linken bedient, der mühsam über die vergangene Jahrzehnte Schritt für Schritt errungen worden war: die mittlerweile breit in der öffentlichen Meinung verankerte Überzeugung, daß die Menschenrechte überall in der Welt verteidigt werden müssen. Die Menschenrechte, die einmal die Internationale erkämpfen wollte und für die sich die nachfolgenden Generationen der Linken - egal welcher Couleur - gegen die vorherrschenden Kapitalinteressen eingesetzt haben, sind allerdings nicht dieselben, für die der neoliberale Kapitalismus heute wieder Angriffskriege führen will. Dieser Unterschied ist von den Kriegstreibern und Demagogen erfolgreich verwischt worden, so daß die Mehrheit der Menschen kriegerische Aggressionen und internationalen Rechtsbruch durchaus akzeptabel findet, wenn es um die angebliche Verteidigung der Menschenrechte geht. Vorbedingung dazu: die Öffentlichkeit muß mit Horrorgeschichten über angebliche Greueltaten des avisierten »Schurkenstaates« propagandistisch entsprechend vorbereitet werden. Auch bei vielen Grünen dürfte die Vermutung mehr und mehr zur Gewißheit werden, daß die »Menschenrechtsfrage« ihres Herrn Fischer nichts anderes als ein Vorwand für die Verfolgung einer aggressiven Expansionspolitik alten Stils ist. Fischer argumentiert gegenüber seinen Kritikern aus den eigenen Reihen - wenn auch mit anderen Worten -, daß die Grünen zu lange dafür gekämpft hätten, um an die Macht zu kommen, um diese jetzt wegen alter Prinzipien wieder abzugeben. Um an die vermeindliche Macht zu kommen, hat der grüne Außenminister in der Tat harte Kämpfe geführt. In deren Verlauf hat er seine Wähler und Anhänger gründlich betrogen, er hat Völkerrecht und Verfassungsrecht gebogen und gebrochen und Deutschland in einen Angriffskrieg geführt. Er ist mitverantwortlich für die Kriegsverbrechen der NATO. Dafür hat Fischer den Vertretern der neoliberalen Weltordnung glaubhaft seine Regierungsfähigkeit bewiesen. US- Außenministerin Albright darf er jetzt mit Madeleine ansprechen. Rainer Rupp |