Salzburger Nachrichten, 17.7.99

Studenten wollen "mehr Revolution"

In der Türkei werten Laizisten und Islamisten die Iran-Krise ganz unterschiedlich

Von Susanne Güsten, Istanbul So ganz geheuer war den türkischen Laizisten der Gottesstaat in ihrer unmittelbaren Nähe noch nie. "Der Iran kam von der Hölle des Schah in die Hölle Khomeinis" - so faßte die Istanbuler Zeitung "Sabah" die Ergebnisse der 20 Jahre zurückliegenden Islamischen Revolution im Nachbarland zusammen. Die Zustände im Iran gelten den Anhängern der streng säkularen Staatsordnung der Türkei als ständige Mahnung, denn schließlich ist im Iran verwirklicht worden, was sie befürchten: die Machtübernahme der Religiösen. Entsprechend hoffnungsfroh beobachtete dieses Lager die jüngsten Studentenproteste in Teheran. "Der Geist ist aus der Flasche", meint der Leitartikler Hasan Cemal, "im Iran wird nichts mehr so sein wie früher."

Fast alle türkischen Regierungen faßten das Mullah-Regime im Iran seit der Revolution 1979 nur mit spitzen Fingern an. Lediglich ein Ministerpräsident machte eine Ausnahme: Der bisher einzige islamistische Premier der Türkei, Necmettin Erbakan, erschreckte die eigenen Landsleute und den Westen unmittelbar nach seinem Amtsantritt 1996 mit einer Reise nach Teheran. Doch die von Erbakan propagierte "islamistische Außenpolitik" verlief bald im Sande.

Seit dem Ende der Erbakan-Ära dient der Iran in der türkischen Öffentlichkeit vor allem als warnendes Beispiel für die Zustände in einem islamistisch beherrschten System:

"Frauen in dunklen, unförmigen Gewändern"

Das Mullah-Regime habe dem iranischen Volk viel Leid zugefügt, berichtet das nationalistische Massenblatt "Hürriyet" mit Blick auf die neuen Proteste im Iran. Alle Freiheiten seien im Namen des Glaubens abgeschafft worden, die Frauen in dunkle, unförmige Gewänder gesteckt. "Dasselbe wollten sie auch bei uns machen."

Premier Ecevit, als strammer Laizist bekannt, äußerte die Hoffnung, daß die Studentenproteste der iranischen Gesellschaft zum Wohle gereichen würden. Angesichts der reichen Geschichte und Kultur der Iraner sei es nicht zu erwarten gewesen, "daß sie sich lange Zeit einem veralteten Unterdrückungssystem beugen".

Dagegen kamen die türkischen Islamisten bei ihrer Analyse der Ereignisse im Iran zu anderen Schlüssen. In vielen türkischen Zeitungen werde der Eindruck erweckt, daß die iranischen Demonstranten gegen die Islamische Revolution seien, doch das Gegenteil sei der Fall, kritisiert der islamistische Leitartikler Fehmi Koru. Demonstriert werde nur gegen konservative Kreise, die die Revolution für ihre eigenen Zwecke miß-brauchten. "So gesehen, wollen die Demonstranten mehr Revolution."

Auch der Chef der türkischen Islamisten-Partei, Recai Kutan, versteht es, aus den Ereignissen in Teheran Lehren für die Türkei zu ziehen. Die Demonstrationen seien kein auf den Iran beschränktes Phänomen. "Wie überall auf der Welt fordert die Jugend mehr Demokratie, mehr Menschenrechte, mehr Freiheit", sagte der Vorsitzende der Tugendpartei und fügte listig hinzu: "Auch in der Türkei."

(SN, APA)