Süddeutsche Zeitung 20.7.99 Preistreiberei in Ankara Der türkische Wortschatz kennt ein Wort, das vor allem im Geschäftsleben verwendet wird. Es heißt "tokatlamak" und ist mit "abwatschen" einigermaßen wortgetreu übersetzt. Basarhändler verwenden es, wenn sie gesehen haben, wie ein Kollege einen arglosen und naiven Kunden mit überhöhten Preisen übervorteilt hat. Man würde indes stets bestreiten, selbst jemals zu solch fragwürdigen Methoden zu greifen, und wenn, dann nur unter extremen Umständen. Für die türkische Regierung unter Premier Bülent Ecevit scheinen diese extremen Umstände eingetreten zu sein - jedenfalls was das Cypern-Problem betrifft. Anders ist es nicht zu begreifen, daß die Türkei ihren Preis für eine Lösung der Cypern-Frage in astronomische Höhen treibt. Eigentlich hätte Ankara ganz gute Karten in diesem Spiel, das mit der türkischen Militärintervention vor genau 25 Jahren eine neue Wendung erhalten hatte: Die Teilung der Insel hat Fakten geschaffen, die auch die Cypern-Griechen nicht mehr leugnen können. Beide Bevölkerungsgruppen haben sich so sehr auseinandergelebt, daß an eine Vereinigung nicht mehr zu denken ist. Zudem scheint die Staatengemeinschaft zum ersten Mal wirklich entschlossen zu sein, das lästige Problem zu beseitigen - um fast jeden Preis. In der Tokatlamak-Türkei indes beharrt man auf dem Höchstpreis: Völkerrechtliche Anerkennung der Türkischen Republik von Nord-Cypern als Voraussetzung für Verhandlungen. Doch wenn diese Bedingung erfüllt wäre, gäbe es nichts mehr zu verhandeln. Wahrscheinlich ist es genau das, was die Türkei und das von ihr gestützte cyprische Regime des Rauf Denktasch wollen - eine für alle Seiten faire Lösung zu verhindern. ky. |