Frankfurter Rundschau 21.7.99 Wie man einen Haufen Scherben kittet Joschka Fischer wandelt bei seinem Türkeibesuch auf schwierigem Terrain Von Vera Gaserow und Knut Pries (Berlin) Joschka Fischer geht am morgigen Donnerstag auf eine diffizile Mission: Am Bosporus will er die Möglichkeiten ausloten, der Türkei den Weg in die EU zu ebnen - ohne die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte zu relativieren. Die zweitägige Reise des Außenministers mutet an wie Diplomatie aus klassischer Zeit, als diese sich gern mit dem Attribut "geheim" schmückte und "die Medien" Menschen mit guten Kontakten ins Jenseits waren. Auch der diesseitig-moderne Fischer zieht in diesem Fall den klandestinen Halbschatten vor und verzichtet auf journalistische Begleitung. Weniger weil ihm im Ausland der Pressetrupp auf die Nerven ginge (das auch), als wegen des heiklen Charakters der Visite. Die Regierung Kohl/Kinkel hat, nicht nur durch eigene Schuld, die deutsch-türkischen Beziehungen als Scherbenhaufen hinterlassen. Die von der deutschen EU-Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte eingeleitete Bemühung, den Schaden zu reparieren, ist nach wie vor "ergebnisoffen". Gelöst werden muß das Problem, Ankara neue Hoffnungen auf Mitgliedschaft in der EU zu machen und zugleich zu nötigen Vorleistungen zu veranlassen - also zu Fortschritten bei Menschenrechten, in der Kurdenfrage und bei der Entspannung mit Griechenland. Dazu muß der Türkei das Insistieren auf einer zur Hälfte eingebildeten Kränkung ausgeredet werden. Einerseits war ihr Verdacht durchaus begründet, die Regierung Kohl und andere, die sich hinter ihr versteckten, hätten unüberwindbare "kulturelle" Vorbehalte gegen einen EU-Beitritt der Türkei. Andererseits hat die EU den schon vor Jahrzehnten verbrieften Anspruch darauf beim Luxemburger Gipfel im Dezember 1997 bestätigt und versichert, daß dafür dieselben Bedingungen gälten wie für andere Interessenten. Ankara hatte freilich mehr erwartet - man reagierte nachhaltig beleidigt und beleidigend. Diese Blockade möchte die rot-grüne Regierung - vom Verdacht einer "christlichen" Aussperrungsstrategie unbelastet - durch die Zuerkennung des offiziellen Kandidatenstatus überwinden. Die Türkei würde in die zweite Gruppe der Bewerber aufrücken, auf eine Stufe etwa mit Bulgarien oder Rumänien. Sie käme in den Genuß einer "Heranführungsstrategie", müßte aber im Gegenzug mit den vielfach versprochenen Reformen endlich ernst machen. Entsprechende Zusicherungen seines Kollegen Bülent Ecevit hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) schon zum Kölner EU-Gipfel im Juni mitgebracht. Die Aufwertung der Türkei zum Kandidaten scheiterte dennoch, am Veto der Griechen, Italiener, Schweden und Luxemburger. Im Dezember, wenn sich die Staats- und Regierungschefs in Helsinki treffen, wollen es die Deutschen wieder versuchen. Dafür gebe es durchaus Chancen, heißt es in Regierungskreisen, auch wenn die Sache durch das Todesurteil gegen den Kurdenführer Abdullah Öcalan nicht leichter geworden sei: Der Widerstand Roms, Luxemburgs und Stockholms sei nicht unüberwindlich, und die Gespräche Athen-Ankara liefen so vielverspre- chend, daß ein Einlenken der Griechen möglich scheine. Diesen Eindruck will Fischer, dessen Delegation Abgeordnete aller Fraktionen angehören, bei Treffen mit Ecevit, Präsident Süleyman Demirel und Außenminister Ismail Cem überprüfen. Kontakte mit Kurden-Vertretern sind nicht vorgesehen. Fischers Glaubwürdigkeit als Vertreter rechtsstaatlicher Prinzipien soll vielmehr ein Besuch beim türkischen Menschenrechtsverein unterstreichen. Dessen Chef Akin Birdal wird den Gast allerdings nicht empfangen können: Vor einem Jahr bei einem Attentat schwer verletzt, sitzt er mittlerweile wieder im Gefängnis. |