Süddeutsche Zeitung 21.7.99 Der Weg nach Europa führt über Berlin Die Türkei hat erkannt, daß sie das zerrüttete Verhältnis zu Deutschland verbessern muß Von Wolfgang Koydl Istanbul, 20. Juli - Im allgemeinen gelten Türken als recht gastfreundlich, doch manchmal lassen sie jede Spur von Höflichkeit gegenüber ihren Gästen vermissen. Es gibt nicht wenige westliche Politiker, die ein Lied von dieser undiplomatischen Grobheit singen können. Zuletzt traf es US-Verteidigungsminister William Cohen. Bei seinem Besuch in der vergangenen Woche fanden weder der Staatspräsident, noch der Außenminister, und noch nicht einmal sein Gastgeber, Verteidigungsminister Sabahattin Cakmakoglu, Zeit für ihn. Am heutigen Mittwoch kommt Bundesaußenminister Joschka Fischer zu einem zweitägigen Besuch nach Istanbul und Ankara. Im Gepäck hat er die Erinnerung an eine desaströse Reise seines Vorgängers Klaus Kinkel vor mehr als zwei Jahren. Er war damals derart gedemütigt worden, daß sich seither überhaupt kein deutscher Minister mehr nach Ankara wagte: Die Regierung Kohl sah keinen Grund mehr, zerschlagenes Porzellan zu kitten, und die rot-grüne Koalition schob einen Besuch beinahe unanständig lange vor sich her. Dabei sind die Sorgen vor einem neuen Fiasko unbegründet. Alle Anzeichen deuten vielmehr darauf hin, daß Fischer mit einem fast schon übertrieben herzlichen Empfang durch die Türkei rechnen kann. Dies ist umso bemerkenswerter, als der Alt-Linke aus seinem Zorn über Menschenrechtsverletzungen nie einen Hehl gemacht hat. Sein erster Weg in Ankara wird ihn denn auch zum Menschenrechtsverein (IHD) führen. Gleichwohl sieht etwa der Kolumnist Yavuz Donat von der Massenzeitung Sabah in dem Deutschen einen "wichtigen Gast", der auf dem Weg Ankaras nach Europa "die Führung übernehmen soll". Milliyet konstatiert ein "Tauwetter" in den "eingefrorenen Beziehungen zu Deutschland", und sogar die nationalistische Hürriyet gibt sich in ihren Vorberichten als Ausbund an Zurückhaltung und Fairneß. Was aber hat diese wundersame Wandlung bewirkt? In Ankara hat man dreierlei erkannt. Erstens: Mit der nach dem Luxemburger EU-Gipfel eingeschlagenen autistischen Verweigerungspolitik kommt man keinen Schritt weiter und isoliert sich nur selbst. Zweitens: Alle Wege nach Europa führen - ob man es will oder nicht - über Deutschland. Drittens: Die Regierung Schröder meint es offensichtlich ernster damit, der Türkei den Status eines Beitrittskandidaten zu verbriefen. Überrascht und erfreut hatte man vom Kanzler vernommen, daß ihm dieser Punkt "am Herzen liegt". Doch für das eine K-Wort (Kandidat) werden die Türken ein anderes K-Wort schlucken müssen: Kurden. Es steht außer Frage, daß eine formelle Aufnahme der Türkei in den Kreis der EU-Kandidaten beim nächsten Euro-Gipfel im Dezember in Helsinki vom weiteren Umgang mit den Kurden und speziell mit dem zum Tode verurteilten kurdischen Parteiführer Abdullah Öcalan abhängen wird. Endet er am Galgen, dann kann Ankara alle europäischen Träume für die nächsten Generationen begraben. Daß eine Verbindung zwischen den beiden Wörtern "Kurde" und "Kandidat" besteht, weiß man auch in der türkischen Hauptstadt. Staatschef Süleyman Demirel und Premier Bülent Ecevit haben mehrmals anklingen lassen, daß sie sich gegebenenfalls fügen würden, falls der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Vollstreckung des Todesurteil als unrechtmäßig bewerten würde. Freilich muß sich Fischer in dieser Frage sehr vorsichtig verhalten. Er wäre gut beraten, weniger über den Fall Öcalan zu sprechen, als ganz allgemein über die Todesstrafe als eine mit europäischen Werten unvereinbare Sanktion. Wie viele Minen gerade auf diesem Terrain verborgen sind, zeigt ein Blick auf die türkischen Zeitungen in Deutschland. Anders als die Mutterblätter in der Türkei haben sie in den letzten Tagen Gift und Galle über die perfiden Machenschaften des Westens gespuckt. Sie werten das Junktim zwischen EU-Kandidatur und Kurdenfrage als einen durchsichtigen Versuch Europas, die Kurdengebiete abzuspalten. Joschka Fischer wird in Ankara erklären müssen, daß dies eine realitätsfremde Phobie ist. Die Chancen, daß man ihm zuhört, sind besser denn je. |