Die Welt, 21.7.99 Der lange Weg der Türkei Kommentar von Joachim Widmann Joschka Fischer fährt nach Ankara, im Gepäck die Aussicht auf ein Angebot und einen Katalog von Forderungen. Das kühle Verhältnis Deutschlands zur Türkei wird davon profitieren können, daß das Auswärtige Amt die Zeit für gekommen hält, um die Türkei in den Kreis der Kandidaten für einen Beitritt in die Europäische Union wiederaufzunehmen. Doch dazu muß sie die Achtung der Menschen- und Bürgerrechte garantieren und vor allem eine politische Lösung in der Kurdenfrage und für den Zypern-Konflikt anbahnen. Je klarer die Kalkulation der EU über Kosten und Nutzen des Beitritts ausfällt, desto weniger Mißverständnisse werden die Beziehungen zwischen der Türkei und Europa künftig belasten. Mangelndes Selbstbewußtsein, schlechtes Management und Anmaßungen prägten dieses Verhältnis bislang auf beiden Seiten. Europa hat sich lange aus Rücksicht auf die geostrategische Bedeutung der Türkei davor gedrückt, eine klare Position einzunehmen. Halbherzig wurden humanitäre, pluralistische Prinzipien hochgehalten, zugleich ebenso halbherzig Waffen geliefert, dann bemäkelte man den Einsatz der Waffen im Kurdenkonflikt. Das konnte zu nichts führen, und aus Frustration schlug die EU am Ende brüsk die Tür zu. Die Türkei wandte sich zornig ab. Für die türkische Führung dagegen ist die EU-Perspektive ein Vehikel gewesen, ihren nationalen Anspruch auf Anerkennung in der Welt zu markieren. Doch ist die EU kein Verein zur Profilierung von Einzelstaaten. Auch trifft die türkische Kritik nicht zu, daß das Beharren der Europäischen Union auf gemeinsamen Prinzipien der Ausdruck eines Hegemonialanspruchs des (christlichen) Abendlands wäre. Die EU dient dazu, jedem ihrer Bürger gleiche Chancen zur Entfaltung einzuräumen. Demokratie und Rechtssicherheit sind dazu ebenso Voraussetzung wie die Förderung unterentwickelter Regionen und (allen Verwerfungen zum Trotz) Subventionen für Unternehmen und Branchen. Anderen Kandidaten macht eben dieses Prinzip den Beitritt erstrebenswert: Für jeden Tschechen, Schotten, Bayern, Polen, Kurden oder Türken gelten EU-weit idealerweise dieselben Regeln und Freiheiten sei es für Geschäfte, sei es für die Religionsausübung, die Gründung von Gewerkschaften, Parteien oder Universitäten. Der Weg der Türkei in diese Union der Bürger ist lang. Doch gibt es Signale, daß die neue Regierung offen ist für die Öffnung und auch den Mut hat, die unausweichliche innere Debatte mit Militärs, Nationalisten und Islamisten aufzunehmen. |