Tagesspiegel, 2.7.

Die Türkei und die EU - Ein unordentliches Verhältnis

VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL. Daß die türkischen Behörden die Festnahme des mit deutschen Ausweispapieren reisenden PKK-Funktionärs Cevat Soysal ausgerechnet wenige Stunden vor Ankunft des deutschen Außenministers in Istanbul bekanntgaben, unterstrich noch einmal die Delikatesse der Mission. Schließlich hätte Ankara es Fischer ersparen können, den ohnehin nicht einfachen Türkei-Besuch mit dieser heiklen Frage zu befrachten. Mit Nachdruck erinnerten die Türken ihren Gast nun aber daran, daß Deutschland und Europa sich entscheiden müssen, ob und wie sie den stacheligen Möchtegern-Partner in die westlichen Spielregeln einbinden wollen. Die Debatte über die EU-Kandidatur der Türkei dreht sich aber im Kreise - vor allem, weil viel über die Türkei geredet wird und wenig über Europa.

Verfolgt man die bisherige Debatte über die EU-Perspektiven der Türkei, so gewinnt man den Eindruck, daß die Mitgliedschaft in der Europäischen Union eine Art europäisches Gütesiegel für Beachtung der EU-Maßstäbe von Demokratie und Menschenrechten sei. Dabei wirft die EU-Bewerbung der Türkei vor allem die Frage auf, was die Europäische Union sein will: Wirtschaftsverband, Wertegemeinschaft oder politisches Instrument? Definiert sich die Union geographisch, historisch, religiös oder politisch? Und vor allem: Will die EU in der internationalen Politik als global player auftreten oder lediglich ihre Nische verteidigen? Von der Antwort auf diese Fragen hängt ab, ob die Türkei einen Platz in der EU finden kann und soll.

Wenn die EU langfristig als Weltmacht auftreten will, kommt sie um die Türkei nicht herum. Denn nur über die Türkei kann die EU mit an die Entscheidungshebel in einer strategisch wichtigen Weltregion gelangen. So stehen viele europäische Staaten etwa der Irak-Politik der USA äußerst kritisch gegenüber; mitreden kann hier aber als einziges halbwegs europäisches Land die Türkei, von deren Gebiet aus die Kontrollflüge über die nördliche Flugverbotszone starten und die den Nordirak quasi als Hinterhof gepachtet hat. Auch im Wettlauf mit Rußland um den Zugang zu den gewaltigen Erdöl- und Erdgasreserven im Kaspischen Meer stützen sich die USA weitgehend auf die Türkei als einzigen stabilen und verläßlichen Partner in der Region; Europa hat auch hier wenig zu melden. Im Nahen Osten machen die Europäer immer wieder hilflose Ansätze, sich in den Friedensprozeß einzuschalten; eine EU-Mitgliedschaft der Türkei würde die Union zum Nachbarn der Region machen und ihr ein Mitspracherecht verschaffen. Die Liste ließe sich fortsetzen: Die Türkei hat Grenzen mit Iran, mit den Kaukasusstaaten Georgien und Aserbaidschan und mit Armenien, historische und kulturelle Verbindungen mit den Turk-Republiken in Zentralasien und als moslemisches Land ganz anderen Zugang zu den islamischen Staaten der Welt. Wenn die europäische Verteidigungsidentität irgendwann einmal auf der Welt ernstgenommen werden soll, wäre die Mitgliedschaft der zweitstärksten Nato-Armee sicher dienlich.

Diese Identitätsfragen muß Europa endlich grundsätzlich klären, um zu einer begründeten Entscheidung über das türkische Beitrittsstreben zu kommen - anstatt immer nur die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien durch die Türkei zu beschwören. Derzeit fordert die Türkei ja nicht etwa die sofortige Mitgliedschaft, sondern nur die Anerkennung als Beitrittskandidat. Erst der Kandidatenstatus böte Ankara den Anreiz, diese Kriterien zur Vorbereitung auf eine Vollmitgliedschaft auch wirklich zu erfüllen. Denn bisher kann die Türkei ja wirklich machen was sie will - solange Europa nicht weiß, was es mit dem Land will, hat Ankara durch Piratenstücke wie die Festnahme des PKK-Mannes Soysal nichts zu verlieren.