jw, 23.7. Politische Flüchtlinge ungestraft kidnappen? jW sprach mit Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz (Der Mit-Verteidiger des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan ist Herausgeber des Buches: »10 Jahre grenzüberschreitende Kurdenverfolgung« im GNN-Verlag Köln, 1998) F: Rechtzeitig vor dem Besuch von Bundesaußenminister Joseph Fischer rühmte sich die Türkei am Mittwoch der Festnahme des PKK-Funktionärs Cevat Soysal. Der aus Moldawien in die Türkei verschleppte Kurde ist in Deutschland als politischer Flüchtling anerkannt. Doch keine (öffentliche) Reaktion der hiesigen Behörden zu dem neuerlichen Fall internationalen Kidnappings. Müssen aber nicht vor allem politische Funktionäre gegen solche Machenschaften - gerade auch öffentlich - in Schutz genommen werden? Das wäre dringend erforderlich. Alle Staaten, die die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 unterzeichnet haben - dazu gehören Deutschland und die Türkei -, haben sich verpflichtet, alle Flüchtlinge, die als solche anerkannt worden sind, vor jeder Form von Verfolgung zu schützen. Erst recht vor einer Verfolgung durch den Folterstaat. Das ist ja gerade die Ursache, warum sie in einem anderen Land aufgenommen worden sind. Ich denke, daß im Fall Soysal <Bild: Abbildung> noch etwas passieren wird, d. h. auch Interventionen von offizieller Seite. AP-Foto: Cevat Soysal nach seiner Verschleppung in die Türkei F: Welche Reaktionen sind von deutscher Seite nach dieser Festnahme noch zu erwarten? Zunächst einmal ist Cevat Soysal kein deutscher Staatsangehöriger. Wenn er Deutscher wäre, wäre das nach internationalem und Konsularrecht ganz einfach. Deutschland hätte die Verpflichtung, sich für ihn einzusetzen, ihm einen Anwalt vor Ort zu besorgen, ihn im Gefängnis zu besuchen und so weiter. Das ist bei Flüchtlingen leider nicht der Fall. Soysal ist weiterhin türkischer Staatsangehöriger. Man muß klar sehen, daß die Möglichkeiten der Intervention begrenzter sind. Aus vergleichbaren Fällen ist jedoch bekannt, daß sich Deutschland im Einzelfall engagiert hat. Es ist anzunehmen, daß Bonn auf diplomatischen Kanälen auf die Türkei einwirken wird. F: Dürfen politische Funktionäre aus ihren Zufluchtsländern einfach verschleppt werden, um ihnen im Heimatland den Prozeß zu machen? Nein, natürlich nicht. Die Türkei und Moldawien sind Staaten, die das Europäische Auslieferungsabkommen von 1957 und die Europäische Konvention für Menschenrechte unterzeichnet haben. Beide Vereinbarungen sind eklatant verletzt worden. Das Europäische Auslieferungsabkommen schreibt ein bestimmtes Verfahren vor, dem zufolge der Betroffene das Recht hat, sich einen Anwalt zu nehmen und sich zu verteidigen. Dieser Rechtsbeistand hätte sofort darauf hinweisen können, was ohnehin auf der Hand liegt, daß seinem Mandanten eine politische Verfolgung droht und er offensichtlich wegen eines politischen Deliktes in die Türkei gehen soll. Eine Auslieferung in einem solchen Fall ist nach Art. 3 des Europäischen Auslieferungsabkommens verboten. Ähnlich ist es mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Art. 3 ist es verboten, in einen Staat auszuliefern oder abzuschieben oder zu überstellen, in dem dem Betreffenden die Gefahr von Folter oder menschenrechtswidriger Behandlung droht. Deswegen ist Cevat Soysal ja gerade als politischer Flüchtling in Deutschland anerkannt worden. Das Problem liegt rechtlich gesehen auf einer anderen Ebene. Solche offensichtlichen Verstöße gegen das Völkerrecht können nicht direkt in ein Verfahren umgesetzt werden, mit dem man in der gebotenen Eile einen anderen Staat verpflichten könnte, diese Dinge rückgängig zu machen. Noch ist die herrschende Meinung im innerstaatlichen Recht: Selbst wenn jemand unter Bruch des Völkerrechts entführt, gekidnappt oder sonstwie in ein fremdes Land gebracht wird, hindert das dieses fremde Land nicht, ihn der Strafjustiz zuzuführen. Es gibt zwar einige fortschrittliche Entscheidungen von Obergerichten in Österreich, in der Schweiz und in London - auch der Verfassungsgerichtshof in Südafrika hat so entschieden - und es ist inzwischen die überwiegende Meinung in der Literatur, aber es hat sich noch nicht in der Praxis durchgesetzt. Und was von der Türkei zu erwarten ist, wissen wir aus dem Verfahren gegen den PKK-Vorsitzenden Öcalan. F: Fischer ist nun in die Türkei geflogen, um mit der Führung dort über die Einhaltung der Menschenrechte sowie eine EU-Aufnahme zu sprechen. Ankara führt mit dem Moldawien-Coup den grünen Minister vor - wie ist die Soysal-Verhaftung politisch einzuordnen? Das Ganze ist ein Affront und ein Versuch seitens der Türkei, Fischer unter Druck zu setzen. Frei nach dem Motto: »Was redest Du da über Menschenrechte? Wir haben wieder einen dieser schlimmen Terroristen aus Europa bekommen.« In der Türkei gibt es nach offizieller Lesart ja kein Kurden-, sondern nur ein »Terrorismusproblem«. Aus deutscher Sicht wäre der ganze Fall ein Prüfstein. Fischer und die rot-grüne Bundesregierung haben deutlich gesagt, die Türkei soll offiziell ein EU-Beitrittskandidat sein. Das wird im November von den entsprechenden Gremien der Europäischen Union abgesegnet werden. Ein entscheidender Punkt für den endgültigen Beitritt der Türkei sei die Menschenrechtsfrage allgemein und die Behandlung der Kurden, eine politische Lösung des kurdischen Konfliktes, im speziellen. Wenn das, was immer wieder gesagt wird, ernst gemeint ist, so müßte die deutsche Regierung verlangen, daß Herr Soysal zusammen mit Minister Fischer wieder in die Bundesrepublik zurückkommen kann. Interview: Rüdiger Göbel |