fr, 23.7. Der deutsche EU-Trumpf sticht in Ankara nicht Außenminister Fischer möchte der Türkei den Weg ebenen - aber dort hat das Interesse an Europa abgenommen Von Jan Keetman (Ankara) Das erste Mal soll der jetzige deutsche Außenminister als Rucksacktourist in die Türkei gefahren sein. Seither hat sich sein Äußeres gewandelt, doch trotz Anzug und Schlips fehlt noch was - das Räkeln auf seinem Stuhl, während der türkische Außenminister Ismail Cem spricht, ist noch nicht ganz die feine Etikette. Ein kleiner Lapsus in der Wortwahl wird ihm auch noch passieren, doch ansonsten sitzt seine Rede, so wie die Cems. Es wird erwähnt, daß man unter Freunden auch mal anderer Meinung sein kann. Dann legt jeder für sich höflich seinen Standpunkt dar, auch so ein bißchen für den häuslichen Verzehr. Joschka Fischer findet auch etwas Gemeinsames, indem er der Türkei für ihr Engagement im Kosovo-Krieg dankt. Dort habe man schließlich für ein kleines islamisches Volk in Europa gekämpft, und so gehöre auch der Türkei ein Platz in einem Europa, das keine Religionsgemeinschaft, sondern eine Gemeinschaft weltlicher Werte sei. Dazu gehörten auch die Menschenrechte, sagt Fischer - und hat seinen Faden gefunden. Den türkischen Zeitungen war der Besuch des deutschen Außenministers am Donnerstag indes keine Titelgeschichte wert. Selbst in der Milliyet kam Fischer nur mit ein Paar Zeilen auf die erste Seite. Da half es offenbar nichts, daß Chefredakteur Yalcin Dogan zu den wenigen türkischen Journalisten und Geschäftsleuten gehört hatte, mit denen der Außenminister am Abend zuvor am Bosporus speiste. An der Vorbereitung Fischers und der beiden grünen Abgeordneten Cem Özdemir und Ekin Deligöz, die ihn begleiten, liegt das zumindest bisher mangelnde Interesse der türkischen Medien nicht. Und auch in der Türkei wird die Bedeutung der Beziehungen zwischen beiden Ländern keineswegs unterschätzt. Ankara sieht, daß das Verhältnis zu dem Land, das der wichtigste Handelspartner der Türkei ist, eine wichtige Rolle in Europa spielt. Noch vor zwei Jahren wäre ein deutscher Außenminister, der verspricht, der Türkei den Weg in die Europäische Union zu ebnen, mit viel mehr Lampenfieber empfangen worden. Doch das hat sich geändert. Der EU-Gipfel von Luxemburg ist nicht vergessen, auf dem das seit 1963 assoziierte Land nicht einmal den Kandidatenstatus für die Aufnahme in die EU erreichte. Aus türkischer Sicht war das Deutschland Helmut Kohls bei dieser Zurückweisung ausschlaggebend. Mit dem Hinweis, daß die EU keine Religionsgemeinschaft sei, wollte Fischer diese Wunde schließen. Doch in der Türkei hat sich der politische Wind bereits etwas von Europa weggedreht. Der EU-Beitritt wird zwar weiter betrieben, niemand rückt davon ab. Aber die Vorliebe gilt der selbständigen Politik der Türkei, und seit der geglückten Verschleppung von PKK-Chef Abdullah Öcalan fühlt man sich auch stark. Die derzeitige Regierung steht für eine autarke Politik. Weder Ministerpräsident Bülent Ecevit noch sein Koalitionspartner, die Partei der Nationalistischen Bewegung, waren je enthusiastische Europa-Befürworter. So sticht Fischers großer Trumpf, die Annäherung an die EU zu bewirken, weit weniger, als Deutschland erwarten dürfte. Hinzu kommt ausgerechnet die Festnahme eines nach Meinung der Türkei sehr hochrangigen PKK-Funktionärs, der mit deutschen Reisepapieren unterwegs war. Dies war auch die Titelgeschichte sämtlicher türkischen Zeitungen während des Fischer-Besuches. Fischers Begleiter Özdemir spekulierte gar, ob die Veröffentlichung der Festnahme zu diesem Zeitpunkt nicht ein gezielter Sabotageversuch von Kreisen war, die nicht nach Europa wollen. Schließlich liegt der Vorfall schon eine Woche zurück. So ist es fraglich, was von Fischers vorgebrachten Anliegen in Sachen Menschenrechten bleiben wird - insbesondere wenn es sich um die Kurdenfrage handelt, für die er eine demokratische Lösung wünscht, während die Kurden sich von Terrorismus und Separatismus abwenden sollen. Nachdem Fischer das pikante Thema erwähnt hat, folgt rasch der Satz, daß manche Wünsche eben offen blieben. |