Stuttgarter Zeitung, 23.7.99 Mit Humor und Feingefühl in Ankara Zeichen gesetzt Deutscher Außenminister räumt alte Mißverständnisse aus Joschka Fischer hat mit seinem Besuch in der Türkei große Erwartungen geweckt. Für Ankara war die Visite des Außenministers ein Zeichen für den Beginn einer neuen Ära zwischen den beiden Staaten. Von Astrid Frefel, Ankara Fischers Versprechen, Deutschland werde sich dafür stark machen, daß die Türkei als zwölftes Land offiziell in die Kandidatenliste für die EU aufgenommen wird, haben seine Gesprächspartner in Istanbul und Ankara begrüßt. Unangenehmer klang in ihren Ohren die Klage des deutschen Außenministers über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Fischer setzte auch hier ein deutliches Zeichen. Er besuchte mit seiner Delegation die Büros des Menschenrechtsvereines (IHD). Auf dessen Vorsitzenden war dort im vergangenen Jahr ein schweres Attentat verübt worden. Die EU sei keine christliche Religionsgemeinschaft, sondern eine Wertegemeinschaft. Die Menschenrechte seien ein zentraler Wert, erklärte der Außenminister nach dem IHD-Besuch. Fischer übergab seinen Gastgebern zudem ein Dossier mit konkreten Fällen von Menschenrechtsverletzungen. Angesprochen wurde auch die Todesstrafe, allerdings ohne dieses Thema in einen direkten Zusammenhang mit dem Richterspruch gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan zu bringen. Die Abschaffung der Todesstrafe gelte als ein Grundprinzip, für das er sich in jedem Land einsetze, betonte der deutsche Gast. Zurückhaltend äußerte er sich über die Festnahme des PKK-Führers Cevat Soysal kurz vor Fischers Besuch. Soysal - in Deutschland anerkannter Asylant - ist vom türkischen Geheimdienst in Moldawien aufgegriffen und in die Türkei gebracht worden. ¸¸Wir erwarten eine rechtsstaatliche Behandlung dieses Falles.'' Mehr sagte Fischer nicht. Allerdings überraschte der Zeitpunkt der Veröffentlichung von Soysals Festnahme. Gibt es Kreise in der Türkei, die eine Wiederannäherung an Deutschland und die EU verhindern wollen, fragten die türkische Medien. Fischer lobte die Atmosphäre, die bei dem Treffen geherrscht habe. Dem schloß sich der Abgeordnete der Grünen, Cem Özdemir, an. Fischer habe mit viel Humor und Feingefühl auf seine Gesprächspartner reagiert, meinte Özdemir. Der türkische Außenminister Ismail Cem erklärte, der Dialog sei positiv und konstruktiv gewesen, alte Mißverständnisse seien ausgeräumt worden. Cem nannte als wichtigste Gesprächsthemen die Situation der Türken in Deutschland, die Zypern-Frage und dann erst die EU. Die beiden Amtskollegen werden sich künftig jährlich einmal treffen. Seit in Bonn die rot-grüne Regierung im Amt ist, hofft Ankara, daß sich das Verhältnis der beiden Länder zueinander wieder verbessert. Und tatsächlich wurde die Türkei bisher nicht enttäuscht. Kanzler Gerhard Schröder hat bereits am Kölner Gipfel versucht, die Türkei in die EU-Kandidatenliste zu hieven. Seine Anstrengungen führten zu einem persönlichen Briefwechsel mit dem türkischen Premier Bülent Ecevit. Darin erklärte Ecevit, die EU bestehe zu Recht auf Standards, die erfüllt werden müßten. Die Türkei akzeptiere diese Vorgaben. Ein offizieller Kandidatenstatus würde das Land ermutigen, die Vorgaben schneller zu erfüllen, schrieb Ecevit. Mit dem Besuch Fischers werde ein neues Kapital in der Geschichte der deutsch-türkischen Beziehungen aufgeschlagen, urteilten die türkischen Medien. Man wisse, daß die Türkei einige Hausaufgaben zu machen hätte, schrieb das liberale Massenblatt ¸¸Milliyet''. Doch auch Deutschland müsse Ankara entgegenkommen. Man erwarte, daß die Bundesregierung die EU-Kandidatur unterstütze und auf Athen einwirke, seinen Widerstand aufzugeben. Außerdem müsse Deutschland stärker gegen die PKK vorgehen. So zeige sich, ob die Bundesregierung wirklich freundschaftliche Beziehungen wolle. |