Hannoversche Allgemeine, 24.7.99 In der Türkei überwiegt Skepsis Das Verhältnis zwischen zwei Staaten gestaltet sich manchmal wie die Beziehung zwischen zwei Menschen, findet Derya Sazak: Aus Sicht des Leitartiklers der liberalen türkischen Zeitung "Milliyet" befinden sich die Türkei und Deutschland derzeit "im zweiten Frühling". Der Besuch von Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) in der Türkei hat Bewegung in die festgefahrenen Kontakte zwischen Bonn und Ankara gebracht. Doch nicht alle in der Türkei stimmen Fischers Bewertung zu, daß "ein neues Kapitel" in den Beziehungen aufgeschlagen worden ist. Bei vielen überwiegt die Skepsis. Der türkische Außenminister Ismail Cem nannte Fischers Besuch einen hoffnungsvollen Neuanfang. Mit besonderer Befriedigung registrierte die türkische Seite das Versprechen des Gastes, sich beim nächsten Gipfel der Europäischen Union in Helsinki Ende des Jahres für die Anerkennung der Türkei als EU-Beitrittskandidatin einzusetzen. Die nationalistisch-islamistische Zeitung "Türkiye" sah die Beziehungen bereits an einem Wendepunkt angelangt. Andere türkische Beobachter fragen sich jedoch, ob Fischer sein Angebot zur Unterstützung der Türkei wirklich ohne jede Vorbedingung unterbreitet habe und ob nun wirklich die Anerkennung als EU-Kandidatin bevorsteht. Die Tatsache, daß Fischer selbst betonte, von Bedingungen sei keine Rede, konnte diese Zweifel nicht ausräumen. Die Boulevardzeitung "Sabah" faßte die Reaktion der türkischen Spitzenpolitiker auf das EU-Versprechen des deutschen Ministers mit dem Satz zusammen: "Wir haben dieses Gerede satt - es ist Zeit, daß etwas geschieht." Auch Fischers Delegation wurde mit diesem Mißtrauen konfrontiert. Den Bundestagsabgeordneten in Begleitung des Ministers sei bei einem Gespräch im Auswärtigen Ausschuß eine "eisige" Atmosphäre entgegengeschlagen, sagte die PDS-Politikerin Heidi Lippmann. Und altgediente Kritiker der Europäer in der Türkei hat Fischer ohnehin nicht überzeugen können. Das nationalistische Blatt "Hürriyet" schimpfte, der Hinweis des deutschen Ministers auf das Verbot der PKK in Deutschland sei eine glatte Lüge. Schließlich lebten viele hohe PKK-Funktionäre in Deutschland. is, Ankara |