Der Senator, der aus der Kälte kam Berlins Polizei in der Krise: Innensenator Eckart Werthebach will Kontrolle statt Kontroverse Von Constanze v. Bullion Aus der Ferne sieht man als erstes die Zähne. Eine weiße Phalanx steht da mitten im Gesicht. Strahlend, aber unerbittlich wirft sie jeden zurück, der hinter die Kulissen spähen will. Eckart Werthebachs Geheimwaffe ist ein verbindliches Lächeln, das manchmal von einem Blick begleitet wird, der einen frösteln läßt. "Verstehe", "sehr schön", sagt der Berliner Innensenator knapp, als Polizisten in gedrechselten Sätzen die Lage referieren. Zwei Dutzend Uniformierte haben an einem langen Tisch Platz genommen, haben ihre Mützen auf Aktentaschen gesetzt und die Augen auf den Herrn im mausgrauen Anzug gerichtet. Eckart Werthebach (CDU), Herr über Ordnung und Chaos in der Hauptstadt, empfängt junge Beamte, die zur auswärtigen Schulung antreten. "Hier sitzt die Elite des Jahrgangs", lobt er den Nachwuchs. "Sie sind die Botschafter Berlins." Die Gäste wirken etwas befangen. "Sicher", sagt ein Polizist höflich, "die Ausbildung gefällt mir. Aber unser Einblick in komplizierte Geflechte wie Ihre Verwaltung könnte ausgebaut werden." Und da blitzt es wieder auf, das Lächeln. "Einblick" verlangt der junge Mann. Dabei dürfte das so ziemlich das letzte sein, was der Innensenator einem Nachgeordneten gewähren möchte. Schließlich ist der 59jährige ein passionierter Geheimniskrämer. Eckart Wer-thebachs Karriere begann im Bonner Innenministerium, 1991 wurde er Verfassungsschutzpräsident, 1995 Staatssekretär, nach Kohls Abwahl rettete er sich nach Berlin. Als Geheimdienstler sei er "ein Profi", schrieb der Spiegel. Als Innensenator gelte er als "Verlegenheitslösung", meinte die Woche. Er habe nichts im Griff, klagte Focus: "Das Chaos-Prinzip gilt bis in die Behördenspitze." Die Pleiten der Berliner Innenbehörde füllen dicke Aktenmappen. Da sind die vier Kurden, die vor den Augen der Polizei am israelischen Konsulat erschossen wurden. Da ist die 1.-Mai-Randale, bei der 19 Beamte derartig losdroschen, daß Kollegen sie wegen Körperverletzung anzeigten. Oder die Blamagen des Polizeipräsidenten Saberschinsky. Er ließ vier Kriminalbeamte festnehmen, weil ein inhaftierter Autodieb behauptete, sie verkauften Tips an die "Rumänen-Mafia". Alles Unfug, wie sich herausstellte. Zwischen Polizeichef und Landeskriminalamt, so das LKA, sei es "zu erheblichen Vertrauensverlusten gekommen". Öffentlichen Streit schätzt er nicht Die Ordnungshüter stecken in der Krise. Da hilft es nichts, daß Werthebach verspricht, mit Bundesinnenminister Schily ein "Sicherheitsnetz" über die Hauptstadt zu werfen. Ein paar Witzbolde genügten, um aus einem Bundeswehrgelöbnis eine Lachnummer zu machen. Und auch in Zukunft dürften Polit-Spontis die Ruhe der Regierenden stören, das kann der schneidigste Innensenator nicht verhindern. Es fehlt nicht etwa ein hochgerüsteter Apparat, der Berlin vor den Berlinern "sichert". Überfällig ist eine Debatte, die den Umbruch der Stadt zum Aufbruch der Polizei machen könnte. Doch Eckart Werthebach schätzt ihn nicht, den öffentlichen Streit. Wer sich auf das riesige Sofa im Büro des Senators fallen läßt, landet überraschend weich. Der Hausherr spielt nicht den Sheriff wie sein Vorgänger Jörg Schönbohm. Werthebach ist ein glattgeschliffener, etwas steifer Verwaltungsmann, der freundlich nickt - und im Stillen Strippen zieht. Sicher, die nötige Eitelkeit für die politische Bühne bringe er mit. Gern läßt er einfließen, daß er immer "ganz nach oben" wollte und "sieben verschiedene Verwendungen" habe. Fragt man nach seinen Eigenschaften, sagt er "strebsam, konsequent, verläßlich". Und schlechte? "Unduldsamkeit." Vorwärts sollte es gehen, raus aus dem Siegerland, wo er "nach christlichen Werten erzogen" wurde. Daheim kochte die Mutter, der Vater schaffte bei der Bahn. "Ich war ein mittelmäßiger Schüler", erzählt der Jurist, der seine Frau an der Uni kennenlernte. Als sie schwanger war, plante er schon die Promotion. "Ich war in der guten Lage, daß mich alle haben wollten", sagt er. "Dabei wollte ich nach dem Examen lieber eine Friedhofskapelle bauen als Akten zu füllen." Eckart Werthebach hat dann doch Akten gefüllt, mit Hingabe. "Hochinteressant" fand er die siebziger Jahre, "die Zeit des Terrorismus hat mich geprägt." Dabei hätte er es sich wohl nicht träumen lassen, daß ihn ausgerechnet ein Ex-RAF-Anwalt aus seinem Bonner Amt fegen würde. "Herr Schily hat mir 1998 gesagt, er will einen anderen Staatssekretär", sagt Werthebach etwas spitz. Otto Schily hat ihn kürzlich erneut abblitzen lassen. Für die Haupstadtsicherung hatte der Senator einen "Mehrbedarf von 419 Dienstkräften" angemeldet. Der Bund solle einspringen, Schily aber winkte ab. Von einer Niederlage will Eckart Werthebach dennoch nichts hören. "Ich halte es für einen großen Gewinn, daß wir die Zusage einer Sicherheitspartnerschaft bekommen", erklärt er. "Ich war mir mit Herrn Schily einig, daß wir nicht über Geld reden. Diese Dinge muß der Hauptstadtvertrag regeln." Vertagt wurde auch die Verwaltungsreform. Dabei ist der Senator geübt im Kampf gegen wuchernde Bürokratien. Werthebach durchschaut komplizierte Apparate, wittert undichte Stellen - und zeigt sich beweglich, wenn er unter Druck gerät. So wurde nie geklärt, was er als Verfassungsschutzchef von der Rolle eines V-Mannes beim Anschlag auf die Haftanstalt Weiterstadt wußte. Werthebach weiß im Hintergrund zu agieren. Nur einmal, 1991, ertappte man ihn. Damals soll er einer brandenburgischen FDP-Abgeordneten vertrauliche Papiere überlassen haben. Der grüne Politiker Thilo Weichert, der als Landesdatenschutzbeauftragter kandidierte, sei wegen "linksextremistischer" Aktionen vorbestraft, hieß es darin. Weichert klagte, bekam in allen Instanzen recht - aber nicht den begehrten Job. Auch Werthebach stolperte, blieb aber im Innenministerium. Und bei seinen Feindbildern. Im Opernhaus vermißt man ihn Wer dem Senator im Verfassungsschutzausschuß des Parlaments zuhört, wie er Erklärungen verliest und "verfassungwidrige Umtriebe" der PDS geißelt, fühlt sich an die Diktion des Kalten Krieges erinnert. Das abgenutzte Ritual der 1.-Mai-Krawalle nennt er eine "revolutionäre Protestbewegung". Und die Kurden, die nach der Entführung von PKK-Chef Öcalan lautstark protestierten, beschreibt er als "Grüppchen, die sich in konspirativer Weise dem israelischen Generalkonsulat genähert" haben: "Die Sicherheitskräfte erhielten erst Minuten vor dem Sturm konkrete Hinweise." Längst ist bekannt, daß das israelische Konsulat frühzeitig als gefährdetes Objekt benannt wurde. Werthebach ficht das nicht an. "Wir leisten sehr erfolgreiche Polizeiarbeit", sagt er. Unerwünscht ist auch öffentliche Manöverkritik wie die von Gernot Piestert. Der Chef der Schutzpolizei erklärte vor Gewerkschaftern, die Polizeimisere gehe auch auf fehlende soziale Kompetenz und Bildung zurück: "Ich erwarte schon, daß die Polizei mal ein Buch liest, ins Theater geht." Heute will er sich dazu "nicht mehr äußern". Der Senator soll ihn eisig abserviert haben. "Was Herr Piestert angesprochen hat, muß diskutiert werden", meint Werthebach, "aber ich hätte mir gewünscht, daß er das intern macht." Statt Diskussionen anzuschieben, werden Kritiker ausgebremst, monieren seine Gegner. "Werthebach hat Piestert abträufeln lassen, der ist erledigt", meint Hans-Georg Lorenz, innenpolitischer Sprecher der SPD und Intimfeind des Senators. "Alles abschirmen", sei dessen Motto: "Er hat ein gestörtes Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie". Manche Berliner nehmen übel, daß Eckart Werthebach bei keiner Opernpremiere auftaucht und sich in der Stadt kaum zeigt. Andere meinen, in seiner Behörde regiere die Angst. Das liege an Werthebachs Wunsch, alles zu kontrollieren. Gegen Beamte, die der Presse Tips "durchstechen" und "die Hand aufhalten" verspricht er vorzugehen: "Ich möchte, daß eine geordnete Verwaltung Einzug hält." In der Stadt spricht man dagegen von einem "Maulkorberlaß". Es wird wohl noch dauern, bis bei der Haupstadtpolizei ein weltoffenenes Klima einzieht. Ob Eckart Werthebach das erlebt, bezweifelt er offenbar selbst. Bis zur Wahl im Oktober wohnt er im Senatsgästehaus. In Berlin, so scheint es, will er vorerst keine Wurzeln schlagen. |