Ankara im Schmollwinkel Europäische Union ist zur Zeit kein Thema Die Türkei konzentriert sich auf ihre Beziehungen zum verläßlicheren Partner USA. Von unserem Korrespondenten JAN KEETMAN ISTANBUL. Die ganze Türkei war im Lampenfieber wegen Europa, und irgendwie war man sich sicher, jetzt würde es klappen. Das war im Dezember 1997, kurz vor dem Luxemburger EU-Gipfel, der dann mit der für die Türkei größten Enttäuschung endete: Die erwartete Aufnahme in die Kandidatenrunde blieb aus. Der damalige Premier Mesut Yilmaz fror darauf alle Kontakte zur EU ein. Diese Eiszeit in den Beziehungen zwischen Türkei und Union ist seit dem Frühjahr vorbei. Vor allem das Verhältnis zu Deutschland, das für die Türkei die Hauptschuld an der Entscheidung von Luxemburg trug, hat sich mit der neuen Regierung verbessert. Doch Euphorie kam nicht auf, als der deutsche Außenminister Joschka Fischer bei einem Besuch in Ankara vergangene Woche verkündete, er werde sich auf dem EU-Gipfel in Helsinki dafür stark machen, daß die Türkei als gleichberechtigter Kandidat anerkannt wird. In der Türkei ist man von Träumen bezüglich Europa weit entfernt. Nach Luxemburg sieht man auch den möglichen Kandidatenstatus mit nüchternen Augen als das, was er ist, nämlich die freundliche Aufforderung, doch nicht mehr auf der Straße, sondern bitte im Hausgang zu warten. Außerdem hat man wieder die Vorliebe für selbständige Politik erkannt. Als Partner dieser Politik sieht man an erster Stelle die USA, die ohnehin weit mächtiger sind als die so oft uneinigen Europäer. Zudem gibt es mit den USA weniger Reibungspunkte als mit Europa. Insbesondere möchte man sich von den Europäern nicht ständig belehren lassen. Der türkische Außenminister Ismail Cem sagt es deutlich, die Menschenrechte werde man aus eigenem Interesse verbessern, nicht weil Europa es will. Gegen Einmischung Premierminister Bülent Ecevit wies die Aufforderung des Europäischen Parlaments, den PKK-Chef Abdullah Öcalan nicht zu hängen, als Einmischung in die türkische Justiz scharf zurück. Ein weiterer Stein des Anstoßes zwischen Europäern und Türken liegt vor der türkischen Küste. Die geteilte Insel Zypern ist EU-Beitrittskandidat, und die EU hätte das Problem lieber heute als morgen gelöst, bevor man sich nach der anstehenden Aufnahme überlegen müßte, ob nun die Türkei nicht ein Stück EU-Territorium militärisch besetzt hält. Während von Europa aus eine Lösung nur unter dem Dach eines einzigen Staates auf Zypern denkbar ist, ist für Ankara die Anerkennung der 1983 einseitig ausgerufenen Türkischen Republik Nordzypern Vorbedingung für Gespräche, die dann zu einem lockeren Staatenbund der beiden Teile Zyperns führen könnten. Die jetzige Regierung in Ankara setzt sich auch hauptsächlich aus Parteien und Politikern zusammen, die wenig europaphil gesonnen sind. Der Kemalist Ecevit hält gerne die türkische Souveränität hoch, und sein größerer Koalitionspartner, die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), erst recht. Der dritte im Bunde, Mesut Yilmaz, hat sich seine Finger schon in Luxemburg verbrannt und wird nicht noch einmal den Vorreiter machen wollen. Bleibt die Hoffnung auf Zeit und kleine Schritte. Dazu gehören die Gespräche, die Delegationen der Außenministerien Griechenlands und der Türkei diese Woche in Ankara und in Athen führen und die mit einem Treffen der Außenminister Cem und Papandreou am Freitag in Sarajewo vorerst abgeschlossen werden. Zunächst geht es vor allem um Handel und Tourismus und auf türkischen Wunsch um das Thema Terrorismus, sprich Unterstützung der PKK durch Griechenland. Was das Dauerthema Menschenrechte betrifft, so ist der Zusammenhang mit der EU-Politik vielleicht doch nicht so gering, wie es die türkische Seite derzeit darstellt. Denn es fällt immerhin auf, daß für beide Themen in Ankara das gleiche Ministerium zuständig ist. |