junge Welt 4.8.99

Rückzugsappell aus der Gefängniszelle

Öcalan-Erklärung: PKK-Kämpfer sollen die Türkei verlassen.

jW-Bericht

Was ist los mit »Apo«? Neues Friedensangebot oder Totalkapitulation? Der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, fordert seine Organisation auf, sich innerhalb kürzester Zeit aus der Türkei zurückzuziehen, um so den 15jährigen Krieg in diesem Teil des kurdischen Gebietes zu beenden. Dies teilten Anwälte Öcalans am Dienstag vor Journalisten in Istanbul mit. Ihr Mandant habe ihnen am Vortag auf der Gefängnisinsel Imrali eine entsprechende Erklärung diktiert.

Öcalan zufolge behindere die »Atmosphäre des bewaffneten Konflikts und der Gewalt« den Fortschritt bei Menschenrechten und Demokratisierung in der Türkei. Zur Lösung des Kurdenkonflikts sei ein Ende der Gewalt unabdingbar. Soweit, so gut. »Nach dem einseitigen Waffenstillstand, den die PKK seit dem 1. September 1998 umzusetzen versucht, rufe ich die PKK auf, den bewaffneten Kampf zu beenden und ihre Einheiten um des Friedens willen vom 1. September 1999 an auf Gebiete außerhalb der Türkei zurückzuziehen«, hieß es dann aber in der Erklärung Öcalans (Archiv-Foto).

Bei Umsetzung des Öcalan-Aufrufes würde die PKK tatsächlich einen qualitativ neuen Weg beschreiten. Die bislang einseitig zum Weltfriedenstag ausgerufenen Waffenruhen der Kurdenorganisation beinhalteten immer die Option einer Fortsetzung des bewaffneten Kampfes im Falle einer ablehnenden Haltung der türkischen Seite. Von Ankara wurden diese Friedensgesten und Verhandlungsangebote nie anerkannt. Die Militärs setzten auf ihre Armee, der Kampf ging weiter. »Ein Rückzug der PKK aus der Türkei käme einer Kapitulation gleich«, meinte ein Kenner der Organisation gegenüber junge Welt. Auch praktisch und logistisch sei es für die PKK-Kämpfer unmöglich, sich einfach so aus dem umkämpften Südosten der Türkei zurückzuziehen.

Öcalan forderte in seiner Erklärung denn auch den türkischen Staat auf, auf seine neue Initiative einzugehen. Zugleich appellierte der PKK-Vorsitzende an ausländische Staaten und Organisationen, ihm bei diesem »Prozeß des Friedens und der Brüderlichkeit« zu unterstützen. Bereits während seines Gerichtsverfahrens auf Imrali von Ende Mai bis Ende Juni hatte Öcalan mehrfach ein Ende des bewaffneten Kampfes verlangt und die PKK aufgerufen, die Waffen niederzulegen. Öcalan war am Ende des Verfahrens am 30. Juni auf Imrali zum Tode verurteilt worden; im Herbst steht die Revision vor dem Obersten Berufungsgericht in Ankara an. Über die Vollstreckung des Urteils wird voraussichtlich das türkische Parlament entscheiden müssen.

Wohin sich die PKK zurückziehen soll, wenn sie die Türkei verlasse, darauf konnten die Anwälte den fragenden Journalisten keine Antwort geben. Diese Entscheidung liege bei der Organisation selbst, hieß es von seiten der Öcalan-Verteidiger. Die PKK nahm zunächst keine Stellung zu dem Öcalan-Vorstoß. Auch das Kurdistan-Informationszentrum in Berlin bestätigte gegenüber jW lediglich, daß es eine Erklärung des PKK-Chefs gebe. Aufgrund ihrer möglicherweise weitreichenden Bedeutung wollte man sie aber noch nicht kommentieren.

Die PKK-Führung wird in den kommenden Tagen zu beraten haben, ob sie der Rückzugsaufforderung ihres inhaftierten Vorsitzenden folgt oder eigene Wege beschreitet. Die türkische Führung äußerte sich am Dienstag zu der Erklärung ihres Gefangenen nicht.