Badische Zeitung, 11. August 1999 Kurdenfamilie droht Abschiebung in die Türkei - Rechtsanwalt: Gericht hat wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt "Tägliches Elend" der Asylpolitik Von unserem Redakteur Martin Wendel BAHLINGEN. In ihrer Heimat Türkei drohen ihnen wie vielen anderen Kurden Repression und Verfolgung, doch daran glaubt man beim Verwaltungsgericht Freiburg offenbar nicht so recht. Nach der Ablehnung ihres Asylantrags müssen Mehmet und Güllü Bezirkan und ihre fünf Kinder jetzt möglicherweise mit der baldigen Abschiebung in die Türkei rechnen. Zumindest für die Kinder wäre dies allerdings nicht die erste Abschiebung durch deutsche Behörden. Ende 1995 hatte die Abschiebung der damals neun- bis 13-jährigen Kinder unmittelbar nach ihrer Einreise nach Deutschland überregional für Schlagzeilen gesorgt. 1991 kam der Kurde Mehmet Bezirkan nach Deutschland, beantragte Asyl und lebt und arbeitet seither in Bahlingen. 1995 kam seine Frau Güllü auf dem beschwerlichen Landweg von der Türkei nach Deutschland, im Herbst 1996 war die Familie nach der geglückten Einreise der bis dahin in der Türkei bei der Großmutter lebenden vier Kinder endlich wieder glücklich vereint. Über all die Jahre fiel die Familie dem Staat nie zur Last, betont ihr Anwalt Dr. Udo Kauß. Und Kindergeld bekommen Mehmet und Güllü Bezirkan als nicht anerkannte Asylbewerber sowieso nicht. Welche Wertschätzung die Familie in ihrem Wohnort genießt, zeigte sich nicht zuletzt an der großen Empörung darüber, wie insbesondere die deutschen Behörden die Familie bei den mehrfachen Nachreiseversuchen der Kinder "ins Messer" laufen ließen. Für den Rechtsanwalt der Bezirkans steht völlig außer Zweifel, daß Mehmet Bezirkan und seiner Familie nach der Rückkehr in die Türkei "massive Probleme" drohen. Immerhin habe die ganze Geschichte um die mehrfach mißglückte Familienzusammenführung auch auf die türkischen Behörden ein schlechtes Licht geworfen und der ungeliebten Kurdenfrage zusätzliche Aufmerksamkeit beschert. Das Gericht halte diesen Aspekt aber für vernachlässigbar. Nach Ansicht des Rechtsanwalts hat der Verwaltungsrichter in seinem Urteil allerdings wesentliche Aspekte der Familiengeschichte gar nicht berücksichtigt. So sei zum Beispiel Mehmet Bezirkans Bruder bereits 1993 in Deutschland als Asylbewerber anerkannt worden; seinetwegen wurden Mehmet und seine Schwägerin damals in der Türkei auch verhaftet und verhört. Zweifel an der "individuellen Glaubwürdigkeit" Bezirkans hat der Richter nach Auskunft des Anwalts auch deshalb, weil Mehmet Bezirkan bei der mündlichen Verhandlung Ende März nicht spontan über seine damalige Verhaftung berichtet habe. Für den Anwalt ein durchaus erklärbares Verhalten nach achteinhalb Jahren, zumal solche Erlebnisse vielfach nur durch Verdrängen einigermaßen bewältigt werden könnten. Was der Bruder damals über die Folgen für seine nächsten Angehörigen berichten wollte, habe Behörden und Justiz aber überhaupt nicht interessiert, so Kauß. Nur sein eigenes Schicksal zähle, habe man ihn damals belehrt. Für den Anwalt der Familie offenbart sich beim Fall Bezirkan einmal mehr das "tägliche Elend der Asylentscheidungen", bei denen eine eindeutige Beweisführung für den Asylbewerber praktisch unmöglich sei. Ein einstmals versorgter oder versteckter Untergrundkämpfer sei eben schlecht als Zeuge vorführbar, und auch die türkischen Behörden seien nicht daran interessiert, es einem kurdischen Asylbewerber zu ermöglichen, dass er seine Verfolgung belegen kann. Anders als das Verwaltungsgericht, das laut Kauß zwar eine gewisse Gefährdung der Familie in ihrer unmittelbaren Heimat im Krisengebiet in der Türkei einräumt, aber betont, die Familie könne schließlich in einen weniger gefährlichen Landesteil umziehen, zählt nach Aussage des Anwalts in der aktuellen Rechtsprechung vieler höherer Instanzen die "inländische Fluchtalternative" immer weniger. Kauß: "Die obersten Gerichte nehmen die Kurdenfrage immer ernster, nachdem immer häufer belegt wird, daß viele Rückkehrer in der Türkei starken Repressalien durch die Behörden ausgesetzt sind." Diese gestiegene Sensibilität lasse sich an dem Freiburger Urteil nicht erkennen. Auch am Verwaltungsgerichtshof in Mannheim, so der Eindruck des Freiburger Juristen, werde derzeit offenbar an einer neuen Beurteilung der Problematik gearbeitet. Mit einer Zulassungsberufung will Kauß erreichen, daß die dortigen Richter das Urteil des Verwaltungsgerichts überprüfen. Gelinge dies nicht, drohe Mehmet Bezirkan und seiner Familie wohl schon bald die Abschiebung. Für den Anwalt wäre das allerdings ein unrühmliches Lehrstück deutscher Asylpolitik.
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