junge Welt, 14.08.1999 Generalstreik legt Verkehr in Städten lahm Türkei: Protest gegen Sozialpolitik der Regierung und IWF-Diktat Mit einem eintägigen landesweiten Streik protestierten am Freitag Arbeiter in der Türkei gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung. An der von der »Plattform der Arbeit« organisierten Aktion wurde nach Angaben der Gewerkschaften in vielen Regionen eine hundertprozentige Beteiligung erreicht. 15 Gewerkschaften bzw. Berufsverbände, die die Plattform vor rund einem Monat ins Leben gerufen hatten, wollten mit dem Generalstreik ihrem Protest gegen Verfassungsänderungen Nachdruck verleihen. Diese Verfassungsänderung ebnet den Weg für die Unterzeichnung internationaler Schlichtungsabkommen, die der Privatisierung von staatlichen Betrieben neue Möglichkeiten eröffnet und das nationale Recht außer Kraft setzt. Außerdem wurde infolge von Reformen des sozialen Sicherungssystems das Rentenalter angehoben - bei Frauen von 45 auf 50 Jahre, bei Männern von 50 auf 58 Jahre. Beide Gesetzesänderungen, die der Regierung in Ankara vom Internationalen Währungsfonds (IWF) diktiert wurden, wurden in den letzten Tagen im türkischen Parlament abgesegnet. Premier Bülent Ecevit hatte am Vorabend des Generalstreiks erklärt, seine Regierung werde sich dem Druck der Straße nicht beugen und die Reformvorhaben durchsetzen. In vielen Städten kam am Freitag der öffentliche Nahverkehr zum Erliegen. In Krankenhäusern wurde bis auf die Intensivstationen die Arbeit niedergelegt. Auch in der Bergwerksregion Zonguldak wurde nicht gearbeitet. Da der Generalstreik nach türkischem Recht verboten ist, meldeten sich in mehreren Städten Betriebsbelegschaften geschlossen krank. Aus den kurdischen Provinzen wurde vermeldet, daß in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes die Arbeit niedergelegt wurde. Auch hier wurde eine hundertprozentige Streikbeteiligung erreicht. Die einzige Ausnahme bildeten die zivilen Beschäftigten der Militäreinrichtungen, die einem absoluten Streikverbot unterliegen. Hunderttausende Arbeiter und Angestellte, die die Arbeit niederlegten, nahmen an unzähligen Demonstrationen teil. In Sprechchören wandten sie sich gegen das IWF-Diktat und forderten eine Sozialreform, die ein ausgedehntes Sozialsystem und eine Arbeitslosenversicherung vorsieht. Die Demonstranten forderten eine Fortsetzung der Aktionen, bis alle Gesetzesänderungen vom Tisch sind. Während die Aktionen in den meisten Städten ohne Zwischenfälle verliefen, kam es in Ankara zu Übergriffen der Polizei auf die demonstrierenden Arbeiter. Dabei wurden mehrere Dutzend Arbeiter verletzt. Sultan Özer
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