Handelsblatt, 14.08.1999 Türkei Polizei in Ankara feuert Tränengas auf Demonstranten rtr ANKARA. In Ankara ist die türkische Polizei am Freitag mit Tränengas gegen rund 3000 Gewerkschafter vorgegangen, die gegen eine geplante Reform des Sozialversicherungssystems protestierten. Augenzeugen berichteten, die streikenden Angestellten des Öffentlichen Dienstes hätten versucht, eine Straßenkreuzung im Zentrum der Hauptstadt zu besetzen, als die Polizisten Behälter mit Tränengas in die Menschenmenge gefeuert hätten. Die Demonstranten hätten mit Plastikflaschen nach den Sicherheitskräften geworfen. Später habe sich die Versammlung friedlich aufgelöst. Die Demonstranten hätten Protestrufe gegen den Internationalen Währungsfonds (IWF) skandiert, den sie als treibende Kraft hinter den Reformvorhaben der Regierung betrachten. Der Gewerkschaftsbund Türk-Is hatte in jüngster Zeit scharfe Kritik an den geplanten Reformen geübt, die zu den Bedingungen des IWF für die Gewährung neuer Kredite an die Türkei gehören. Nach Gewerkschaftsangaben hätten auch Arbeiter in Istanbul und anderen Städten in der Provinz Anatolien gestreikt. In der Hafenstadt Izmir hätten sich rund 90 % der Beschäftigten an dem Ausstand beteiligt. Türk-Is kündigte weitere Streikwellen an. Verantwortlich für die Streiks sei die türkische Regierung unter Ministerpräsident Bülent Ecevit mit ihren Plänen, das Rentenalter von 38 auf 58 Jahre für Frauen und von 43 auf 60 Jahre für Männer anzuheben, zitierte die Nachrichtenagentur Anatolien den Vorsitzenden des Gewerkschaftsbundes, Bayram Meral. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt in der Türkei bei 65 Jahren. Ecevit hatte die Reform des Sozialversicherungssytems für dringend notwendig erklärt. Bis Jahresende werde das System ein Defizit von umgerechnet knapp elf Mrd. Mark erreichen. Am Freitag wurde die Parlamentsdebatte über die neue Sozialgesetzgebung fortgesetzt.
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