junge Welt 19.8.1999 Irak: Putscht Saddam gegen sich selbst? Spekulationen über bevorstehenden Rücktritt des irakischen Präsidenten zugunsten seines Sohnes Anfang der Woche berichtete der in Qatar stationierte Fernsehsender Al Jazeerah, daß Saddam Hussein in den nächsten Tagen eine neue Regierung bilden werde, die vorrangig aus Technokraten bestehen solle. Langjährige Säulen des über 30 Jahren herrschenden Baath-Regimes, wie der Außenminister und stellvertretende Ministerpräsident Tariq Aziz oder Muhammad Hamza az-Zubaidi sollen zusammen mit der Mehrheit der gegenwärtigen Minister aus dem Kabinett ausscheiden. Saddam habe den vor zwei Wochen zum stellvertretenden Premierminister ernannten amtierenden Finanzminister Hikmat al-Azzawi als neuen Ministerpräsidenten auserkoren. Al-Azzawi soll bereits mit verschiedenen Wirtschaftswissenschaftlern auch außerhalb der Baath-Partei gesprochen haben. Zweck des Unternehmens sei es, den Wünschen der Wirtschaftspartner Iraks nachzukommen, die ihre Geschäfte weniger gestört durch US-amerikanische Boykottmaßnahmen durchführen möchten. Solche Geschäftspartner, mit deren Hilfe der Irak bereits seit Jahren die auf Druck der USA von der UNO aufrechterhaltenen Wirtschaftssanktionen erfolgreich unterläuft, gibt es spätestens seit 1998 genug. Dazu gehören nicht nur Rußland und China, sondern auch Länder wie Indien, das dem Irak immerhin einen großen Kredit angeboten hat, wenngleich es dieses Angebot kürzlich unter US-Druck zurücknehmen mußte. Der Irak hat vor kurzem sein Vorhaben kundgetan, seinen Erdöl-Export bald wesentlich zu steigern, eine Maßnahme, die ohne vorhergehende große Investitionen in diesen Sektor und die Infrastruktur des Landes nicht möglich wäre. Zwar gibt es immer wieder Berichte über Putschversuche von Teilen der Armee, aber dabei handelt es sich entweder um pure Gerüchte oder um den Zweckoptimismus von Möchtegern- Putschisten. Auch die zivile Opposition, die kurdische sowie die von Gnaden der CIA, erweist sich trotz aller Versuche vor allem seitens Washingtons und Londons, sie endlich auf die Beine zu stellen, für ihre Geldgeber als derart unfähig, daß diese deren Wunsch nach Waffen abgelehnt und statt dessen Schreibmaschinen angeboten haben. Es ist also nicht so, daß Saddam Hussein wirtschaftlich und politisch das Wasser bis zum Hals stünde und er sich deshalb zu dramatischen Schritten gezwungen sähe. Der Boykott gegen das Land stellt ein für die Partner des Iraks nicht unüberwindbares, aber doch zunehmend als überflüssig erachtetes Problem dar. Die Aufhebung der Sanktionen durch die UNO scheitert jedoch am Veto der USA, die es sich politisch nicht leisten können, darauf zu verzichten, solange der von ihnen zum Oberteufel hochstilisierte <Bild: Abbildung> Saddam Hussein noch offiziell das Ruder in der Hand hat (AP-Foto: Kein Gottkönig, sondern Staatschef mit sozialer Basis: Saddam Hussein). Es ist deshalb auch die Rede davon, daß Saddam selbst zurücktreten könnte und sein Sohn Qusay, den er kürzlich ungeachtet aller Dementis dessen älteren Bruders Uday zu seinem Erben erklärt hat, dann sein Amt übernehmen würde. Qusay scheint eine weniger finstere Persönlichkeit wie Uday zu sein. Auf jeden Fall heißt er nicht Saddam und könnte deshalb von den USA, die ja lange Zeit mit dem irakischen Baath-Regime keineswegs unzufrieden waren, durchaus als Verhandlungspartner akzeptiert werden. Diese Spekulationen scheinen auf den ersten Blick unglaubwürdig, wenn man den Machtwillen bedenkt, den Saddam seit Ende der 50er Jahre, damals noch im Untergrund, oft blutig unter Beweis gestellt hat. Andererseits ist der irakische Präsident entgegen westlicher Zweckpropaganda kein Verrückter und letztlich auch keine Ein-Mann-Show. Er und die Baath-Partei, die er im Laufe der Zeit immer mehr zu seiner Partei gemacht hat, haben im Land durchaus eine soziale Basis - auf Grund vergangener sozialer Leistungen für große Teile der Bevölkerung und vor allem auch auf Grund der materiellen Interessen gewichtiger Fraktionen der irakischen Bourgeoisie, der bürokratischen ebenso wie der privaten. Dieser Basis und ihrer Zukunft ist er letztlich verpflichtet. Sein Rücktritt würde deren Geschäfte deutlich erleichtern. In diesem Sinn könnte sein Hauptproblem jetzt darin bestehen, wie er einen eventuellen - wahrscheinlich nur formalen - Rücktritt zumindest dem irakischen Volk als die Apotheose seiner unzähligen »Siege« verkaufen könnte. Anton Holberg |