Schaffhauser Zeitung, 21.8.1999 Im Irak ist Krieg und keiner sieht hin Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit führen die USA und Grossbritannien seit acht Monaten einen dosierten Luftkrieg um die Flugverbotszonen über Irak. Von Lorenz Kummer Für die USA ist es der «andere» Krieg dieses Jahres, der Krieg, der neben den dramatischen Ereignissen im Kosovo gänzlich in den Hintergrund gerückt ist. Es ist ein Krieg, der inzwischen derart normal geworden ist, dass er in den Medien nur noch am Rand Erwähnung findet und sich seit letztem Dezember ohne öffentliche Debatte immer weiter in die Länge zieht, obschon seine Ausmasse langsam «beeindruckende» Formen annehmen. 1100 Raketen feuerten alliierte Piloten in den letzten acht Monaten gegen 359 Ziele in Irak ab, dreimal mehr als in den vier Tagen des Dauerbombardements von Mitte Dezember, mit dem die USA Saddam Hussein für die Ausweisung der Uno-Waffeninspektoren bestrafen wollten. Kein Tag vergeht, ohne dass Kampfflugzeuge von Basen in der Türkei und am Persischen Golf zu Patrouillen über Irak aufsteigen; mehr als 10 000 Einsätze haben sie bisher geflogen, bald zwei Drittel so viele wie in 78 Tagen ununterbrochenen Krieges gegen Jugoslawien. Kontroverse um Opfer Der Zankapfel sind die Flugverbotszonen im Norden und Süden Iraks, die nach dem Golfkrieg über Irak verhängt wurden, um Kurden und schiitische Minderheiten vor Angriffen durch Saddams Luftwaffe zu schützen. Amerikanische und britische Flugzeuge patrouillieren ohne Unterlass in diesen Zonen, was Irak als Verletzung seines Luftraumes betrachtet. Der Charakter der daraus entstehenden Scharmützel ist immer gleich: Die irakische Armee erfasst die Bomber im Radar oder nimmt sie unter Beschuss, diese antworten mit Angriffen auf irakische Radar- und Luftabwehranlagen. Die USA beteuern, sie handelten nur zur Selbstverteidigung. Irak hält dem entgegen, die Raketen hätten mehrfach zivile Ziele getroffen und Dutzende von Menschen getötet. Vor kurzem gelang es einem US-Fernsehteam, in den Süden Iraks zu reisen und dort mit Opfern zu sprechen. Sie berichteten unter anderem von einem Raketeneinschlag in der Stadt Najaf Mitte Juli, bei dem 18 Menschen verletzt und 14 getötet wurden. Doch US-Verteidigungsminister Cohen bestreitet diese Angaben: «Wir haben keine Hinweise, dass Zivilisten zu Schaden kamen.» Ein Dementi aus dem Pentagon löste auch die jüngste irakische Meldung aus, bei einem Bombenangriff seien am Dienstag 19 Zivilisten ums Leben gekommen. Verdruss im Pentagon Wie viele Opfer der Luftkrieg auch fordert, Saddam wird sich kaum dazu bewegen lassen, seinen aktiven Widerstand gegen die Flugverbotszonen aufzugeben. Im Pentagon wächst derweil der Verdruss über die Starrköpfigkeit der Iraker und über deren Fähigkeit, die Schäden an Luftabwehranlagen jeweils schnell wieder zu reparieren. Die «Falken» unter den Generälen machen sich deshalb bereits Gedanken, den Luftkrieg auszuweiten und zusätzliche Ziele wie Kasernen, Waffen- und Munitionslager anzugreifen. In die gleiche Richtung zielt auch ein Vorstoss einflussreicher Kongressmitglieder beider Parteien. In einem Brief an Bill Clinton unterstützten sie den Luftkrieg, forderten den Präsidenten aber auf, Saddam Hussein umgehend ein Ultimatum zu setzen, bis wann dieser ein neues Team von Uno-Waffeninspektoren zu akzeptieren habe. Die Abgeordneten schlugen zudem vor, die Flugverbotszonen auszudehnen, die Bombenangriffe zu verstärken und eine erweiterte Auswahl von Zielen ins Visier zu nehmen. Angst vor Protesten Das Weisse Haus scheint jedoch kaum gewillt, eine Eskalation des Krieges in Kauf zu nehmen - vor allem aus Angst vor der Reaktion der internationalen Öffentlichkeit. «Unsere dosierte Gewaltanwendung hat auch in arabischen Staaten wenig Proteste provoziert», erklärte kürzlich ein Berater des Präsidenten, «die Ausweitung der Angriffe könnte dies sofort ändern.» Auch in den USA stossen die Aktionen gegen Irak mehrheitlich auf Gleichgültigkeit - wohl nicht zuletzt, weil bisher nur irakische, aber keine amerikanischen Verluste zu beklagen sind. Höchstens die Kosten des permanenten Einsatzes von über 200 Flugzeugen, 19 Schiffen und 22 000 Soldaten - rund zwei Milliarden Dollar pro Jahr - geben zu reden. Vorläufig dürfte also das dosierte, aber letztlich ineffiziente Katz-und-Maus-Spiel am Himmel über Irak in gewohnter Manier weitergehen, zumal die Flugverbotszonen für die USA derzeit die einzige Möglichkeit bieten, Saddam militärisch in Schach zu halten. Eine Resolution des Uno-Sicherheitsrats, die ein neues Uno-Waffeninspektionsteam fordert, ist bisher am Widerstand Russlands und Chinas gescheitert, und das Wirtschaftsembargo hat Irak noch nie daran hindern können, sein Waffenarsenal aufzustocken. «Die Zonen bieten den grossen Vorteil einer international bewilligten Militärpräsenz in Irak, die wir dazu benützen können, Saddams Aggression einzudämmen», erklärt der ehemalige Luftwaffengeneral Richard Hawley. Diesen strategischen Vorteil werden die USA nicht so schnell aus der Hand geben. |